Seiner Familie endlich eine Perspektive bieten: Mit diesem Ziel macht sich Vater Nura (Mizanur Rahaman) zusammen mit seinem Sohn Fahim (Ahmed Assad) von Bangladesch auf den Weg ins ferne Frankreich, um dort ein neues Leben zu beginnen. Hat er erst einmal Arbeit und Wohnung, sollen die anderen nachkommen – so der Plan. Doch das ist alles schwieriger als gedacht. Niemand hat einen Job für ihn, zudem droht ihm auch die Abschiebung. Fahim ahnt davon nichts, da er ein ganz eigenes Ziel verfolgt: Er möchte Schachmeister werden! Dafür tritt er auch einem Club bei, wo er sich von Sylvain (Gérard Depardieu) trainieren lässt. Dabei kommt es jedoch regelmäßig zu Konflikten, denn sein Lehrer mag fachlich eine Menge drauf haben, seine mürrische, strenge Art macht den Umgang aber nicht gerade einfach …
Das Flüchtlingsthema mag hierzulande nicht mehr ganz so sehr die Medien beherrschen wie noch vor einigen Jahren. Für Filmemacher stellt es aber nach wie vor als recht dankbar heraus, erlaubt es doch viel über die Gesellschaft zu sagen und es dabei doch noch ordentlich menscheln zu lassen. Das Wunder von Marseille ist ein solcher Film, wenn hier ein Schicksal von vielen herausgepickt wird, stellvertretend für die Abertausenden anderer, die in der Fremde das Glück suchten. Was nicht bedeuten soll, dass das hier beliebig wäre. Vielmehr machte der zugrundeliegende Fall eines Jungen aus Bangladesch mit hoher Schachbegabung vor einigen Jahren in Frankreich durchaus Schlagzeilen.
Ungewöhnlicher Alltag
Man muss mit diesem allerdings nicht vertraut sein, um hier auf seine Kosten zu kommen. Auch wenn das Szenario auf den ersten Blick etwas speziell ist, so bietet Das Wunder von Marseille doch genug Wiedererkennungselemente, um auch unabhängig von Vorwissen und Ländergrenzen zu funktionieren. Das offensichtlichste ist natürlich Gérard Depardieu, das französische Schauspiel-Urgestein. Der hatte in den letzten Jahren oft kein besonders glückliches Händchen bei der Rollenauswahl, Titel wie Bon Voyage, ihr Idioten! fanden kein größeres Publikum mehr. Hier macht es hingegen wieder Spaß ihm zuzusehen, wie er als grantiger und verbissener Schachlehrer die Kinder triezt und auch sonst nicht unbedingt den großen Charmeur gibt.
Allgemein sind es die Figuren, die das Herz der Geschichte sind. Fahim etwa mag ein Genie am Schachbrett sein. Er ist aber eben auch ein kleiner Junge und als solcher nur sehr bedingt belehrbar. Wenn so jemand auf einen despotisch veranlagten Senior trifft, dessen größtes Kompliment noch ein Schweigen darstellt, dann muss das zwangsweise krachen. Hinzu kommt, dass man in Bangladesch ein etwas anderes Pünktlichkeitsempfinden hat als in Frankreich, was für eine regelmäßige Culture-Clash-Note sorgt. Und auch sonst reicherte man den Anpassungskampf von Fahim mit viel Humor an. Das wundert nicht sonderlich, Regie führte schließlich Pierre-François Martin-Laval, der unter anderem vorher die Comic-Adaptionen School Camp – Fies gegen mies und Gaston – Katastrophen am laufenden Band inszeniert hat.
Ein sicherer Spaß
Im Vergleich zu denen ist Das Wunder von Marseille der deutlich gelungenere Film. Wenn hier zwei illegale Einwanderer ihre Anpassungsschwierigkeiten haben, dann soll das nicht nur lustig sein. Es ist es meistens auch. Wobei natürlich auch das Herz mitspielen soll. Dass die Konflikte und Probleme ungelöst bleiben, das ist bei einem solchen Film nicht zu erwarten. Schließlich braucht ein trauriges Schicksal ein Happy End. Und das bedeutet auch, dass die anfänglichen Streithähne zusammenfinden werden, man seine Differenzen überwindet und am Ende die große Freundschaft wartet. Und noch mehr, schließlich soll sich die Mühe ja auch lohnen.
Originell ist das nicht, an manchen Stellen sogar überaus berechnend. Beispielsweise hätte man die Geschichte sicherlich auch erzählen können, ohne bei den „Gegenspielern“ auf eine derartige Schwarzweiß-Zeichnung zurückgreifen zu müssen. Und auch die dramatischen Wendepunkte wurden ein bisschen dick aufgetragen, das wäre alles natürlicher gegangen. Aber: Der Beitrag vom Filmfest Hamburg 2019 macht Spaß und lässt einen wieder ein bisschen von einer besseren Welt träumen, in der für alle Platz ist. Sofern man ausblenden kann, dass Fahim die Ausnahme ist und nur wenige den Luxus hatten, über ein großes Talent zu verfügen, was den Jubel zum Schluss ein bisschen verhaltener werden lässt.
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