Deutschstunde
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Deutschstunde

Deutschstunde
„Deutschstunde“ // Deutschland-Start: 3. Oktober 2019 (Kino)

Siggi Jepsen (Tom Gronau) ist nicht gerade ein einfacher junger Mann, weshalb er in der Anstalt auch immer mal wieder mit den Obrigkeiten aneinandergerät. Andererseits: Auch sein Leben war nie einfach gewesen. Dessen wird er sich bewusst, als er anfängt, die Erfahrungen aus seiner Kindheit (Levi Eisenblätter) für einen Aufsatz über „Die Freuden der Pflicht“ aufzuschreiben. Denn das bringt ihm viele Erinnerungen zurück. An seinen Vater Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen), einen strengen Polizisten, der loyal alle Befehle der NSDAP ausführt. An Ludwig Nansen (Tobias Moretti), einen expressionistischen Maler, der seit Ewigkeiten ein Freund der Familie war, bis er aufgrund seiner entarteten Kunst in Ungnade fiel. Und das wird nicht der einzige Punkt sein, der immer wieder zu Streitigkeiten führt …

15 Romane hat Siegfried Lenz geschrieben, dazu unzählige Erzählungen, Theaterstücke und Essays. Aber es hilft nichts. Der Titel, mit dem man am ehesten den deutschen Schriftsteller in Verbindung bringt, ist und bleibt Deutschstunde. Der 1968 veröffentlichte Roman behandelt den Widerspruch von kollektiver Pflicht und individueller Schuld. Wie viel Verantwortung trug der einzelne, wenn er Befehle ausübte? Wo endet Loyalität? Wo sollte sie enden? Das wurde exemplarisch anhand eines jungen Mannes vorgeführt, der sich an seine Kindheit erinnert, die von eben diesen Themen geprägt war, wenn sein Vater – ein pflichtbewusster Polizist – den Dienst über einer langjährige Freundschaft zu einem in Ungnade gefallenen Maler stellt.

Hmm, muss das sein?
Das ist ein wichtiges Thema zweifelsfrei. Aber ist es auch ein aktuelles Thema? Immerhin ist der Roman inzwischen über 50 Jahre alt, die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit hat seither viele Fortschritte gemacht. Es ist daher durchaus verführerisch, der neuen Verfilmung mit Skepsis zu begegnen, einen Mangel an Filmen über das Dritte Reich kann man schließlich kaum beklagen. Hinzu kommt: Mit 600 Seiten ist die Vorlage nicht gerade dünn. Das im Rahmen eines einzigen Spielfilms abhandeln zu wollen, weckt keine großen Erwartungen. Nicht ohne Grund erfolgte die erste Adaption des Buches 1971 als 220 Minuten langer Zweiteiler fürs Fernsehen.

Schon die ersten Minuten verdeutlichen aber, dass Deutschstunde tatsächlich ins Kino gehört. Großartig sind die Aufnahmen, die Kameramann Frank Lamm (Jugend ohne Gott) aus dem hohen Norden Deutschlands mitgebracht hat, von den Dünen, dem Meer, dem Watt und den einsamen Häusern im Nirgendwo. Und das weiß auch Regisseur Christian Schwochow, der sich alle Zeit der Welt nimmt, uns die Luft einatmen zu lassen und die Möwen schreien zu hören. Geradezu idyllisch ist es dort. So idyllisch, dass man über weite Strecken vergisst, dass da draußen irgendwo Krieg herrscht. Wir hören davon, auch weil der ältere Sohn der Familie Jepsen dort Heldentaten vollbringt und sein Vaterland verteidigt. Aber er wird nie greifbar, nie real. Allgemein neigt die Atmosphäre zum Traumartigen bis leicht surrealen durch die starke Abkoppelung von einer Außenwelt.

Viel Licht, ein bisschen Schatten
Das macht den Film vielleicht schwerer zugänglich als andere Historiendramen, die gerne mal mit der Keule ausholen. Und doch gewinnt Deutschstunde dadurch eine deutlich universellere Note. Hier geht es eben nicht zwangsweise um den Nationalsozialismus oder eine konkrete Zeit. Die grundsätzliche Überlegung, wie Kollektiv und Individuum in Einklang zu bringen sind, Pflicht und Verantwortung, die funktioniert auch außerhalb des Kontextes. Das Drama gibt einem heutigen Publikum ebenso viel zum Nachdenken mit auf den Weg, wie es das vor Jahrzehnten getan hätte. Mit dem Unterschied, dass bei dieser Fassung das unangenehme Gefühl entsteht, die Geschichte könnte sich jederzeit wiederholen, wir vielleicht nicht so viel dazugelernt haben, wie wir gerne hätten.

Es gibt daher gute Gründe, dem Klassiker im neuen Gewand eine Chance im Kino zu geben, inhaltlich, visuell und auch darstellerisch – Ulrich Noethen (Oh Boy) ist fantastisch in der Rolle des abscheulichen Despoten, der sich an Regeln klammert. Insgesamt darf man sich hier auf ein überzeugendes Ensemble freuen. Schwierig ist hingegen das Tempo. Während sich Schwochow viel Zeit lässt, um die Figuren einzuführen und das Thema zu etablieren, hat er es gegen Ende auf einmal sehr eilig. So, als müsste die Hausaufgabe noch schnell bis zum Start der Schulstunde fertig sein. Das führt nicht nur zu einem deutlichen Ungleichgewicht, sondern auch zu irritierenden Sprüngen, wenn auf einmal nicht mehr klar ist, warum wer was genau tut. Im Gegenzug sind andere Szenen zuvor eher redundant, wenn sich der längst ausführlich vorgeführte Konflikt mal um mal im Kreis dreht, ohne etwas Relevantes hinzuzufügen. Doch trotz der etwas unglücklichen Balance ist Deutschstunde ein überaus sehenswerter Film, sofern man sich auf das Setting noch einlassen mag.



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Eine neue Adaption von „Deutschstunde“, jetzt noch? Tatsächlich ist der Film überaus gelungen, überzeugt durch fantastische Bilder, eine gute Besetzung und die wichtige Auseinandersetzung mit dem Konflikt zwischen kollektiver Pflicht und individueller Verantwortung. Nur bei der Balance hapert es ein wenig: Manche Szenen sind sehr ausführlich geworden, dafür irritiert ein überhastetes Ende.
7
von 10