Monogamie? Das ist doch nur was für Spießer! Der Ansicht sind zumindest Maria (Paula Knüpling) und Niels (Maximilian Hildebrandt). Das junge Paar ist zwar durchaus glücklich miteinander, hat aber auch keine Probleme damit, das Glück mit anderen zu teilen. Im Gegenteil: Regelmäßig sind die zwei im nächtlichen Berlin unterwegs, um noch weitere mit in ihr Liebesleben einzubeziehen. Ob Mann oder Frau ist dabei egal, Hauptsache die Person sieht gut aus. Chloe (Tala Gouveia) tut das. Und so versuchen die zwei, die schöne Britin auch für sich zu gewinnen. Das klappt tatsächlich nach einem eher zaghaften Start. Was die beiden jedoch im Vorfeld nicht ahnten: Chloe bringt nicht nur die Betten, sondern auch das Gefühlsleben durcheinander …
Berlin, eine anonyme Party: Maria ist gerade dabei, sich mit einem fremden Mann über den Geschmack fremder Spucke auszutauschen. Niels geht es kurz drauf um ganz andere Körperflüssigkeiten, als er ungefragt seine Hand auf das Bein des besagten Mannes legt. Schon die Einleitungsszene zeigt, wie erfahren die beiden im Verführungsspiel sind. Und wie offensiv. So offensiv, dass man gar nicht so genau weiß, ob man sie nun für ihr Selbstvertrauen und Ungeniertheit bewundern soll oder ob sie einem ein wenig unheimlich sind, wie sie da erstmal genüsslich Grenzen überschreiten, um zu sehen, was nun geht und was nicht – was einen leichten Nötigungscharakter hat.
Das unentdeckte System
Doch Regisseur und Drehbuchautor Thomas Moritz Helm geht es nicht darum, dieses Verhalten zu werten. Ob diese Eroberungsversuche moralisch sind oder nicht, diese Frage stellt sich hier gar nicht. Vielmehr ist der Filmemacher bei seinem Debütspielfilm daran interessiert, was denn nun passiert, wenn in diesem fest eingespielten Team ein Fremdkörper auftaucht. Einer, der eben nicht nur mal kurz im Bett dabei ist, sondern auch ein System durcheinanderbringt, von dem die zwei gar nicht wissen, dass es ein System ist. Dessen Existenz sie wohl auch leugnen würden. Denn wo ein System, da kann es keine absolute Freiheit geben, so wie sie sich das wünschen.
Aber gibt es diese Freiheit denn? Kann es sie überhaupt geben? Heute oder morgen scheint das hier in Frage zu stellen, lässt dabei aber offen, ob das nun generell gilt oder doch nur auf das exemplarische Paar zutrifft. Denn am Ende entzieht sich das Drama einer eindeutigen Allgemeingültigkeit, ist ein Film über zwei junge Menschen, die durchaus stellvertretend für eine individualistische Generation stehen, aber nicht zwangsweise damit gleichzusetzen sind. Dafür scheinen sie auch gar nicht die notwendigen Ambitionen mitzubringen. Man hört Maria und Niels nie dabei, wie sie sich über die Welt unterhalten. Sie scheinen nicht einmal wirklich ein Teil von ihr zu sein. Um Geld müssen sie sich keine Gedanken machen, sie bewohnen kostenlos das Loft des Onkels. Das einzige was zählt: Spaß!
Zwei Fremde auf der Suche nach Intimität
Als Individuen sind die beiden deshalb nicht übermäßig spannend. Auch sympathisch würde man sie eher nicht nennen, vor allem nicht Niels. Chloe wiederum bleibt trotz der körperlichen Nähe immer die Fremde. Eine Figur, auf die viel projiziert werden kann – und (sexuelle) Fantasie haben die zwei ja –, die aber nie mehr wird als das. Interessant ist an Heute oder morgen vielmehr die Gruppendynamik. Wenn sich Maria beispielsweise andauernd entschuldigt, obwohl sie eigentlich eine selbstbewusste, starke Frau ist, dann verrät das einiges über die Beziehung. Ebenso der Ärger von Niels, wenn er nicht Teil von etwas ist. Es also eine Freiheit geben könnte, die auch eine Freiheit von ihm bedeutet.
Der Film, der auf der Berlinale 2019 Weltpremiere hatte, braucht dafür nicht einmal Worte. Vieles läuft hier auf einer deutlich sinnlicheren Ebene ab, lässt Bewegungen fühlen, anstatt sie thematisieren und konkretisieren zu müssen. Helm verzichtet auch auf humorvolle Szenen, die man in solchen Ménage-à-trois-Konstellationen gerne mal vorfindet. Tatsächlich gibt es nur wenige Momente, die in irgendeiner Form hervorstechen, selbst die kleinen Wutausbrüche verschwimmen mit dem Rest zu einem flirrenden Sommer-Sehnsuchtsfilm, der viel mit unterdrückten, unausgesprochenen Gefühlen hantiert, selbst aber nur wenige Gefühle hervorruft. Das ist ein nicht uninteressantes Debüt über die Komplexität von vermeintlich einfachen zwischenmenschlichen Beziehungen, auch wenn einen das Schicksal der drei als solches nicht übermäßig interessiert.
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