Joane (Philippine Stindel) und Lisa (Ana Neborac) könnten unterschiedlicher nicht sein. Während Lisa, eine gebürtige Moldaverin, noch immer von ihrer Vergangenheit eingeholt wird und sehr gefühlsbetont ihr Leben lebt, so ist die aus Frankreich stammende Joane eher auf das Materielle und die Zukunft fokussiert. Dennoch verspüren beide eine gewisse Verbundenheit, als sie sich in den Mercuriales-Türmen der Pariser Vororte kennenlernen. In dem von Melancholie befallenen Paris ist die Erfüllung der eigenen Träume, handelt es sich nun um Geld, Ruhm oder einfach Glückseligkeit, aber einfacher als gedacht. Es dauert nicht lange, bis die Realität beide einholt.
Hyperrealität und cineastische Magie
Regisseur und Co-Autor Virgil Vernier hat schon mit seinem letzten Film Sophia Antipolis gezeigt, dass er nach einer Verschmelzung von hyperrealistischer Darstellung mit magischen Filmmomenten strebt. In seinem Vorgängerfilm Mercuriales – Die Töchter des Merkur, welcher 2014 erschien, ist dies ebenso der Fall. Die Story, relativ offen erzählt, zeigt vordergründig das alltägliche Leben im Pariser Bagnolet.
In der Gesamtheit sind Verniers Werke aber mehr als die Summe ihrer Teile, da teilweise kontextlos und streng genommen auch nicht wirklich storyrelevant die heutige Schattengesellschaft portraitiert wird. Vereinzelte Szenen, in denen es auf subtiler Ebene um Gewalt, Rassismus und die generelle menschliche Unvollkommenheit geht, führen uns genau dies vor Augen. Wenn Lisa und Joane in einer Szene jedoch vor einem Lagerfeuer tanzen und sich ihres Lebens erfreuen, meint man, dass in der Welt alles doch nicht so schlimm ist. Durch diese einerseits harte und kalte, andererseits aber auch hoffnungsvolle Darstellung der Welt bewegt sich Mercuriales daher immer zwischen den Höhen und Tiefen im Leben.
Cineastik und Ästhetik
Da Vernier mehr auf Filmkunst setzt und weniger an einer stringenten „Message“ interessiert ist, fragt man sich dann letztlich, worum es denn in den knapp 100 Minuten nun ging. Ging es um die immanente Melancholie der Welt? Oder doch mehr um eine Art Appell, dass wir lernen sollten, das Leben und besonders die kleinen Sachen wie einen unbeschwerten Abend vor einem Lagerfeuer oder das Kennenlernen einer fremden Person zu schätzen? Durch eben dieses interpretative Fundament, weiß Mercuriales aber von sich zu überzeugen. Die leicht verwirrende Erzählstruktur und Zusammenhanglosigkeit vereinzelter Szenen können damit relativ gut kompensiert werden. Da Vernier sehr auf Ästhetik setzt, merkt man letztlich zudem an der Bildsprache, an dem Grading und an den abgerundeten Ecken des Bildes, welche an den ebenfalls künstlich aufgeladenen Bilder von A Ghost Story erinnern.
Filmkonventionen ade
Die Unkonventionalität von Mercuriales zeigt sich darüber hinaus an den Interaktionen der Figuren, die zum Teil leicht improvisiert wurden. Entgegen dem modernen Unterhaltungsfilm ist mit Mercuriales ein Film entstanden, welcher mehr für das intellektuelle Publikum gedacht ist. Sicherlich mag die Liste solcher Filme nicht gerade kurz ausfallen. Dennoch verdienen Verniers Werke Anerkennung, da diese eine große Interpretationsbandbreite aufweisen, dem Zuschauer aber nie zu viel abverlangen oder gar überfordern, wie es bei anderen Werken in dem Bereich manchmal der Fall ist.
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