Es ist eine nette Gegend, in die Melanie Edwards (Dawn Van de Schoot) da mit ihren Kindern Madison (Hailey Foss) und Timothy (Kaeleb Zain Gartner) gezogen ist. So ruhig und friedlich. Genau das, was sie braucht, nachdem die Sache mit der Scheidung keine ganz so tolle Erfahrung war. Was sie hingegen gar nicht gebrauchen kann, ist dieser Brief im roten Umschlag, der eines Tages in der Post ist und sie auffordert, ihre Nachbarin zu töten, bevor sie das tut. Wie seltsam. Noch seltsamer ist nur, dass offensichtlich jeder in der Nachbarschaft einen solchen Brief erhalten hat. Und das hat Folgen: Während die Edwards das als blöden Streich abtun und die Sache schnell vergessen wollen, wetzen andere bereits die Messer …
So traurig es auch ist, bei den USA haben wir uns längst daran gewöhnt, dass Leute im großen Stil andere abschlachten, Fremde, Freude, egal. Und ebenso daran, dass dort eine gewisse Paranoia herrscht, weshalb ein bedeutender Teil der Bevölkerung sich an Waffen klammert, im festen Glauben, sie würden sonst selbst das nächste Mal ermordet, wenn sie nur aus der Tür gehen. Aus Kanada ist ein vergleichbarer Wahnsinn nicht bekannt. Wenn ausgerechnet von dort dann mit Red Letter Day eine Film kommt, in dem am Ende jeder jeden umbringt, dann ist das dementsprechend noch ein klein wenig effektiver.
Sind wir nicht alle ein bisschen Mörder?
Aus diesem Grund trifft der Vergleich mit The Purge – Die Säuberung nicht so recht, der hier ganz gerne mal bemüht wird. In beiden werden zwar unbescholtene Bürger zu Mördern, weil ihnen von außen der Freischein hierfür erteilt wird. Bei den US-Kollegen ging dies jedoch mit einer deutlich stärkeren gesellschaftlichen Komponente einher. Schließlich waren es doch vor allem die wohlhabenderen Einwohner und gelangweilte Teenager, deren menschenverachtendes Weltbild bis zur Schmerzgrenze überdreht wurde, wenn sie auf Schwächere Jagd machen. Ein paar Obdachlose abknallen, was ist schon dabei? Die braucht eh keiner.
Bei Red Letter Day geht es vielmehr darum, dass in jedem ein Mörder steckt, der unter bestimmten Umständen hervorgeholt werden kann. Denn hier töten die Leute nicht, weil sie es unbedingt müssen, sondern es insgeheim wollen. Der Film ist damit pessimistischen Werken wie Das Experiment deutlich näher als dem obigen Horror-Franchise. Deren Aussage: Alle Menschen sind Monster. Sie brauchen nur das Gefühl, nicht bestraft zu werden, um dieses rauszulassen. Als Beweis suchte sich Regisseur und Drehbuchautor Cameron Macgowan eine nette, adrette Nachbarschaft aus, ohne großes erkennbares Gefälle, mit lauter ganz normalen Leuten. Sein Film spielt sogar ausschließlich tagsüber, um das Ganze noch ein klein wenig offensichtlicher zu machen.
Der ganz alltägliche Horror
Aber nicht nur das Setting ist heller, der Ton ist es auch. Red Letter Day ist in erster Linie eine Komödie, wenn auch eine ziemlich böse. Die Art und Weise, wie hier alles in Windeseile eskaliert, ist natürlich heillos übertrieben. Und auch wenn es denn mal zur Sache geht, zeigt Macgowan seine Vorliebe für das Absurde. Aber anders geht es nun mal nicht, wenn ganz normale Menschen ohne Waffen und Erfahrung in einen Kampf auf Leben und Tod hineingezogen werden – das geht einfach nicht nach Plan. Man muss da nehmen, was man so vorfindet, zum Ärger der Betroffenen, zur Freude des Publikums.
Das hätte beim Beitrag vom Fantasy Filmfest 2019 gern noch ein bisschen stärker ausfallen können, da haben andere Vorstadt-Grotesken schon mehr vorgelegt – etwa Serial Mom – Warum lässt Mama das Morden nicht? vor mittlerweile 25 Jahren. Außerdem braucht es relativ lang, bis die Geschichte tatsächlich mal in Fahrt kommt. Obwohl die Horrorkomödie sehr kurz ist, nicht einmal 80 Minuten lang, ist das Tempo eine ganze Weile ausgesprochen niedrig. Das mag auch mit dem geringen Budget zu tun haben, das nicht allzu viele Metzeleinheiten erlaubte. Stattdessen wird erst einmal nur geredet. Und geredet. Dennoch, Spaß macht das sympathische Red Letter Day, vor allem auch, weil Hauptdarstellerin Dawn Van de Schoot mit Feuereifer dabei ist und in ihrer Rolle als Mutter, die ihre Kinder beschützen will, sehr schön aufgeht.
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