Yoav (Tom Mercier) hat einen großen Traum: Er will Franzose werden! Doch zunächst hat der junge Israeli erst einmal ganz andere Sorgen. Schließlich wurde ihm alles geklaut, während er gerade eine Dusche nahm. Nichts ist ihm geblieben, keine Klamotten, kein Geld, nichts. Immerhin lernt er in seinem Unglück das Pärchen Caroline (Louise Chevillotte) und Emile (Quentin Dolmaire) kennen, die in einer der anderen Wohnungen in dem Haus leben. Die geben ihm eine Unterkunft, was zum anziehen und versuchen ihm auch sonst bei seinen Bemühungen beizustehen, in Frankreich endlich anzukommen. Doch selbst mit ihrer Unterstützung gestaltet sich das schwierig …
Wer zu uns kommt, hat sich gefälligst anzupassen! Man muss noch nicht einmal am äußersten rechten Rand suchen, um Leute zu finden, die dieser Auffassung sind. Die insgeheim ohnehin nicht davon ausgehen, dass jemand, der anders aussieht, anders ist und eine andere Sprache spricht, jemals einer von ihnen sein kann. Probieren kann man es aber, wie der junge Yoav demonstriert. Einen mangelnden Willen zur Integration kann man dem Protagonisten von Synonymes sicher nicht vorwerfen. Er will französisch sein, französischer, als es die Franzosen sind. Etwas jedoch zu wollen, das ist nicht dasselbe wie etwas auch zu bekommen, das wird hier schnell klar.
Eine Vergangenheit voller Geheimnisse
Das ist allerdings auch einer der wenigen Punkte, die in Synonymes wirklich klar werden. Wie der Titel bereits verrät, hat Yoav ein Faible für Synonyme, also verschiedene Wörter, die denselben Inhalt haben. Die braucht er beispielsweise, um sein Heimatland Israel zu beleidigen, das für ihn schon länger keine Heimat mehr ist. Warum dem so ist, das verrät der Film jedoch nicht. An einer Stelle sagt Yoav, er würde von der israelischen Sicherheit verfolgt. Doch er geht nicht näher drauf ein. Regisseur und Co-Autor Nadav Lapid lässt die Aussage mitten im Raum stehen, ohne dass jemand das hinterfragen würde. Und sein junger Protagonist ist ohnehin nicht sonderlich darauf scharf, an seine Vergangenheit zu denken.
Das macht ihn natürlich zu einer sehr rätselhaften, undurchschaubaren Figur. Yoav wäre auch in einem Thriller nicht verkehrt, verkörpert er doch den Typus Mann mit mysteriöser Vergangenheit. Zu einem Thriller wird Synonymes, das auf der Berlinale 2019 Premiere hatte und dort auch mit dem Goldenen Bären als bester Film ausgezeichnet wurde, jedoch nicht. Spannung entsteht hier nicht durch körperliche Gefahr, sondern allenfalls durch die Frage: Was wird hier als nächstes geschehen? Lapid verweigert dem Publikum etwas, das einer durchgängigen Handlung gleich käme. Vielmehr folgt hier Szene auf Szene, ohne dass sich eine aus der anderen ergeben würde. Sie ergeben noch nicht einmal einzeln betrachtet immer wirklich Sinn.
Zwischen Klischees und völliger Verwunderung
Mal stolpert Yoav in ein etwas anderes Vorstellungsgespräch, lässt befremdliche Aufnahmen von sich machen oder lässt sich in der israelischen Botschaft etwas mitreißen. Eine eindeutige Entwicklung gibt es hierin nicht, die findet sich allenfalls in der auch erotisch aufgeladenen Dreiecksbeziehung mit dem gut bürgerlichen französischen Paar. Auch dort treffen zwei Welten aufeinander: das hübsch anzusehende Rätsel und zwei Einheimische, die sich in ihrer klischeebehafteten Leere selbst langweilen. Synonymes handelt allgemein auch davon, von diesen Konflikten und Unterschieden. Und doch machte Lapid daraus keine gefällige Culture-Clash-Komödie, hat beispielsweise so gar nichts mit dem deutschen Kollegen Willkommen bei den Hartmanns gemeinsam, das ebenfalls von den Tücken der Integration spricht.
Das heißt nicht, dass es hier nichts zum Lachen gäbe. Einige der Situationen sind so absurd, dass einem fast nichts andere übrig bleibt, sofern man nicht gerade voller Ungläubigkeit auf die Leinwand starrt. Doch Synonymes ist deutlich ernster, deutlich fordernder auch. Anstatt sich wie andere Immigrationsfilme auf leicht nachvollziehbare Situationen zu verlassen, in denen sich jeder wiederfindet, wird hier das Gefühl der Entfremdung demonstriert. Die Sehnsucht irgendwohin zu gehören und doch keinen Halt zu finden. Die Kamera geistert umher, die Leute tun seltsame Sachen, unsere Identifikationsfigur spricht nicht mit uns und hält uns auf Abstand – all das macht es sehr schwer, als Zuschauer wirklich Anteil an dem Schicksal zu haben. Synonymes ist kein Film, den man einfach so konsumieren könnte. Er will, wie Integration auch, erarbeitet werden. Das kann klappen, kann auch nicht klappen, vielen dürfte das hier zu wenig greifbar sein, zu schräg, vielleicht auch zu nichtssagend. Zumal nicht alle Szenen des gut zwei Stunden dauernden Sonderlings gleich gut funktionieren, manches sich zu sehr in die Länge zieht. Aber es bleibt doch eine interessante Erfahrung über das Fremdsein und das Suchen, über die man fast zwangsläufig noch länger nachdenkt, ohne je selbst das passende Wort dafür zu finden – gleich in welcher Sprache.
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