Vermutlich ist das Konzept des Generationenkonflikts ein Paradoxon. Dass wir Aspekte wie Familie, Heimat und Zukunft immer wieder anders interpretieren, kulturell auch anders besetzen, ist eine Tatsache des Lebens. Andererseits impliziert der Begriff bereits die Austragung eben jenes Konflikts, der sich in einer schier unüberwindbaren Kluft äußert und weit über abschätzige Blicke zu Familienfeiern hinausgeht. Dennoch verbleibt die Einheit der Familie intakt, demonstriert diese nach außen hin, auch wenn es intern erste Fehden gibt, die vielleicht eines Tages offen ausgetragen werden.
Die Tatsache, dass die Familie in dieser Hinsicht auch immer wieder ein Spiegel der Gesellschaft ist, steht im Zentrum von The Family in the Sinkhole, dem Abschlussfilm von Regisseur Yao Zubiao. In diesem begleitet der das Leben einer kleinen Dorfgemeinde, die in Da Guoquan, einer 600 Meter breiten und 150 Meter tiefen Kluft, in der Provinz Yunnan leben. Ganz besonders fokussiert sich der Filmemacher auf den Alltag der 74-jährigen He Pingxiu und ihres jüngsten Sohns Yang Xiuxiang, die seit ihrer Geburt in dem idyllischen, aber auch sehr abgeschnittenen Dorf leben. Aufgrund der Bestrebungen der Behörden, die den stetig wachsenden Strom der Touristen zu der Kluft und dem Dorf wahrnehmen, wird die Gemeinde Zentrum eines Entwicklungsplans, den besonders die jüngere Generation, zu der Xiuxiang gehört, unterstützt. Da seine Mutter jedoch wenig Interesse zeigt, ihren Alltag zu ändern oder sich den geplanten Veränderungen anzupassen, gerät er immer wieder in Konflikt mit ihr.
Eine unüberwindbare Kluft
Es liegt nahe in einem Dokumentarfilm wie The Family in the Sinkhole die Parallele zur chinesischen Gesellschaft zu sehen. Während sich das Thema des Generationenkonflikts fast schon in teilweise komischen Episoden äußert, wie dem immer wieder aufkeimenden Streit um die Haltung des einzigen Schweines, kündigt sich in den Bildern Yao Zubiao ein Wechsel der Werte und Haltungen an. Interessant ist hierbei, dass sich sein Film kein Urteil über die Menschen vor der Kamera erlaubt, beide Lebensweisen beleuchtet und sich vielmehr als Beobachter definiert.
Gleiches gilt für die Bestrebungen der Bewohner und der lokalen Politik, das Dorf und damit die Kluft für Touristen zu erschließen, was nicht zuletzt eine wirtschaftliche Chance bedeutet. Als Zuschauer kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hiermit auch etwas verloren geht, wenn beispielsweise der Bürgermeister in geschäftigem Tonfall von Aussichtsplattformen und anderen Strukturen spricht, während er durch die Trampelpfade des Dorfes geht. Nicht ohne eine Spur von Ironie fügt Yao die Szene eines Missverständnisses bei, wenn Pingxiu Wörter wie „Entwicklung“ als „Teufelswerk“ versteht, was der Bürgermeister mit einem grimmigen Grinsen quittiert.
Letztlich gibt Yao die zentrale Frage an den Zuschauer weiter. Das Dilemma des Aufgebens alter Wege und Werte im Namen des Fortschritts wird in seinem Film nicht innerhalb einfacher Muster dargestellt. Alleine dies macht The Family in the Sinkhole zu einer universellen Parabel über jenen Konflikt, der zwischen humorvoll-ironischen Tönen auch immer wieder nachdenklich stimmt.
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