The Remains
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The Remains – Nach der Odyssee

The Remains
„The Remains – Nach der Odyssee“ // Deutschland-Start: 26. September 2019 (Kino)

Das ganz große Thema in den Nachrichten sind Flüchtlinge nicht mehr, auch wenn so mancher Populist ganz gerne mal daran festhält, aus Mangel an programmatischen Alternativen. Stattdessen richtet sich der Fokus derzeit stark auf den Klimawandel und die mal größeren, mal kleineren Bemühungen, den vielleicht doch noch aufzuhalten. Das ist einerseits verständlich, irgendwann interessiert selbst der größte Aufreger niemanden mehr. Außerdem hat das nicht ganz das Gefühl von Dringlichkeit, welches der bevorstehende Kollaps der gesamten Erde hat. Deswegen dürfte auch bei neuen Filmen, die das Thema der Flüchtlingskrise noch einmal aufnehmen, bei vielen die Frage aufkommen: Warum denn jetzt noch? Braucht es das wirklich?

Wirkliche Neuigkeiten oder Denkanstöße zur Debatte hat The Remains – Nach der Odyssee tatsächlich nicht zu bieten. Stattdessen erzählt der Dokumentarfilm von einem Teilaspekt, der gar nicht wirklich zu dieser Diskussion gehört: Was passiert eigentlich mit den Menschen, die auf der Flucht gestorben sind? Gehört haben wir davon natürlich alle schon, immer wieder wird mal davon berichtet, wie Leute etwa bei der Überfahrt gekentert und ertrunken sind. Tragisch sind diese Geschichten durchaus, aber doch zu abstrakt, zu weit weg, um einen so richtig nahezugehen. Wen wir nicht kennen, wer kein Gesicht und Namen hat, der wird in unserer Wahrnehmung kein Mensch.

Allgemein und individuell
The Remains – Nach der Odyssee verdeutlicht dieses Problem auf eine ganz eigene Weise. Genauer nähert sich Regisseurin Nathalie Borgers diesem Thema in zweierlei Hinsicht an. Der eine betrifft das eigentliche Prozedere. Dafür reist sie zur Insel Lesbos, die als Endstation von Flüchtlingen schon häufiger mal in den Schlagzeilen stand. Die Interviews, welche die belgische Filmemacherin dort führt, machen den etwas nüchternen Teil ihres Werks aus. Das soll jedoch nicht bedeuten, dass dieser keinen Eindruck hinterlässt. Wenn beispielsweise Mitarbeiter vom Roten Kreuz darüber berichten, wie mit Leichen umzugehen ist, damit sie später identifiziert werden können, dann ist das selbst in seiner Abstraktion keine schöne Erfahrung.

Zumal Borgers auch an der Stelle ein paar eindringliche Bilder findet. Leere Boote, die an der Küste herumliegen beispielsweise, brauchen keine großen Worte, um ihre Geschichten zu erzählen. Die werden auch so deutlich. Noch schlimmer ist der Ausflug zu einer Art Friedhof, in der die letztendlich nicht identifizierten Leichen begraben werden. Was zuvor noch ein Mensch war, ein Individuum mit eigenen Träumen und einer Vorgeschichte, das ist hier nur noch ein Grabstein, auf dem das Wort „Agnostos“ steht, zu Deutsch „Unbekannter“. Wer derjenige ist, was ihn dorthin verschlagen hat, was er unterwegs durchstehen musste, niemand wird es mehr erfahren. Die Reise hat ein vorzeitiges Ende genommen. Mehr als 30.000 Menschen sollen in den letzten 25 Jahren im Mittelmeer ertrunken sein, beim Versuch, eine neue Heimat zu finden.

Was tun nach der Tragödie?
Einer, der es hingegen geschafft hat, ist Farzat Jami. Er wollte weg aus Syrien, so wie viele andere auch, konnte nicht mehr in dem Land bleiben, in dem er geboren ist, aufwuchs, und doch keine Perspektive mehr hatte. Ob er sie in Österreich, wo er untergekommen ist, wieder finden wird, das bleibt in The Remains – Nach der Odyssee noch ohne Antwort. Denn auch wenn er selbst das Glück hatte, andere seiner Familie hatten dies nicht. 13 der 27 Mitglieder, welche die Flucht wagten, verloren unterwegs ihr Leben. Vor allem der Tod der Kinder wiegt schwer auf den Seelen der Überlebenden, zumal nach der Flucht der nächste Kampf bevorstand: die Familienzusammenführung. Ein Bruder etwa, der in Deutschland Asyl erhielt, darf nicht nachkommen, sondern muss in Deutschland bleiben. Das Gesetz sieht es so vor.

Das ist bitter, so wie viele Szenen in dem Dokumentarfilm bitter sind. The Remains – Nach der Odyssee zeigt, welche Opfer mit der Flucht verbunden sind und dass selbst Glück sehr relativ sein kann. Das mögen Einzelschicksale sein. Und doch ruft Borgers damit in Erinnerung, was wir vergessen haben oder nie wirklich wahrnehmen wollten: Flüchtlinge sind Individuen, sind Menschen. Wenn Borgers zeigt, wie dank intensiver Recherche drei tote Kinder doch noch eine Identität und einen Namen erhalten, der auf ihren Grabsteinen zu sehen ist, dann ändert das natürlich nichts an ihrem Schicksal oder dem der vielen anderen. Aber es hat doch zumindest einen symbolischen Wert, der klarmacht, dass unter der Erde ein jemand begraben ist, der mehr war als nur eine Nummer.



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„The Remains – Nach der Odyssee“ nimmt sich eines besonderen Aspekts der Flüchtlingsthematik an, wenn die vielen Menschen in den Mittelpunkt rücken, die unterwegs ihr Leben lassen mussten. Der Dokumentarfilm spricht dabei einerseits über die die Vorgänge, erinnert anhand von Betroffenen aber auch, dass hinter den Zahlen der Gestorbenen immer Menschen mit einer Identität und einer Familie steckten.