Die Temperaturen sinken kontinuierlich, immer wieder schieben sich graue Wolken an die Stelle, wo vor nicht allzu langer Zeit noch die Sonne hinunterbrannte – eindeutig, der Sommer nähert sich seinem Ende zu. Da ist es irgendwie schon gemein, vielleicht auch clever, gerade zu dem Zeitpunkt einen neuen Reisefilm ins Kino zu bringen. Die erfreuen sich inzwischen großer Beliebtheit, in regelmäßigen Abständen erobern neue Werke unsere Leinwand, in denen es letztendlich nur darum geht, dass irgendwelche ganz normalen Leute unter teils widrigen Umständen auf Weltreise gehen, die damit Lust machen, selbst auf Reise zu gehen. Anderswo. Allein in Afrika zum Beispiel, oder auch Reiss aus – Zwei Menschen. Zwei Jahre. Ein Traum – da war schon einiges los in den letzten Monaten.
Um aus diesem großen Angebot irgendwie hervorzustechen, braucht es schon ein Alleinstellungsmerkmal. Bei Zwei Familien auf Weltreise war es, dass auch kleine Kinder mit an Bord sind, anstatt nur Einzelkämpfer oder junge Paare auf die Reise zu schicken. Bei Über Grenzen – Der Film einer langen Reise steht im Gegensatz eine Vertreterin des anderen Endes des Altersspektrums im Mittelpunkt. Immerhin 64 Jahre alt ist Margot Flügel-Anhalt, ein Alter, in dem sich viele so langsam auf die Rente vorbereiten. Sie nahm die späte Freiheit jedoch zum Anlass, sich noch einmal auf ein Motorrad zu schwingen und loszudüsen.
Das kann ja nix werden …
Eine lange Fahrt wird es. 117 Tage sind es am Ende, die sie unterwegs war, 18.046 Kilometer hat sie zurückgelegt, 18 fremde Länder durchquert. Zumal das Durchschnittstempo eher gering war. Einen Motorradführerschein hatte die ehemalige Sozialpädagogin nicht, weswegen sie auf ein Motorrad mit 125 Kubikzentimeter zurückgreifen muss. Die sind nicht ganz so schnell. Andererseits: Teilweise führt der Weg durch unwegsames Gelände, was ohnehin kein hohes Tempo erfordert. Und auch ihre Unerfahrenheit mit dem Fahrzeug verhindert, dass es wirklich schnell vorangeht. Diverse Male ist man ja schon froh, dass die herumschlingernde ältere Dame nicht gleich im Abgrund landet.
Das macht natürlich aber auch irgendwo den Charme des Films aus. Eben weil Flügel-Anhalt so gar nicht ins Raster passt, ist man gespannt, wie sie sich so schlagen wird und ob sie mit den vielen Schwierigkeiten und Herausforderungen klarkommt. Wobei anfangs noch ein bisschen geschummelt wird, wenn die beiden sie begleitenden Regisseure Johannes Meier und Paul Hartmann doch immer wieder eingreifen, um ihrer Heldin wieder in die Spur zu helfen. Das ist witzig und doch kontraproduktiv. Ein Teil des Reizes solcher Filme ist immer die Begegnung mit dem Unbekannten. Bei Über Grenzen ist man aber eher mit sich selbst beschäftigt.
Fordernde Begegnungen in der Fremde
Mit der Zeit pendelt sich das jedoch ein. Flügel-Anhalt wird routinierter, erfahrener, der Film erzählt mehr von ihren Erlebnissen, die sie mit anderen Menschen macht. Der Iran beispielsweise ist einer der inhaltlichen Höhepunkte der Doku, wenn die freiheitsliebende Rentnerin auf Frauen stößt, denen das Reisen ohne männliche Einwilligung nicht gestattet ist – gelebter Culture Clash. Eigene schlechte Erfahrungen macht sie hingegen nicht. Im Gegenteil: Über Grenzen will zeigen, wie gut die Menschen noch sein können, wie sehr sie einander helfen, selbst völlig Fremden. Wenn die Reisende am Ende so begeistert ist, dass es sie kaum noch zu Hause hält, dann nimmt man ihr das auch durchaus ab.
Als eigentliche Reisedoku sticht der Film jedoch weniger heraus. Mit einem Motorrad durch eine Berglandschaft zu gurken, fühlt sich sicher aufregender an, als dabei zuzuschauen. Die Landschaften sind trotz der großen Distanz, die zurückgelegt werden, nicht wirklich abwechslungsreich. Es fehlt auch ein bisschen das Gefühl, wirklich in eine fremde Welt einzutauchen. Dafür ist Über Grenzen – Der Film einer langen Reise ein überzeugendes Plädoyer dafür, offen zu sein, hinauszugehen und anderen zu begegnen, um dabei selbst Meter für Meter ein bisschen reicher zu werden – und das in jedem Alter.
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