Eine arrangierte Ehe? Nein, das war nichts für Kamala. Sie wollte ein eigenes Leben, weshalb sie jetzt Blumen auf den Straßen von Bombay verkauft. Dort trifft sie auf Salim, dessen Eltern von Kaschmir-Kämpfern getötet wurden. Er verliebt sich auf Anhieb in das schöne Blumenmädchen und würde sie gern erobern, so wie die Helden seiner Filme. Aber das ist gar nicht so einfach. Währenddessen hat auch Kamals jüngere Schwester Tara jede Menge zu tun. Da wäre der taubstumme Junge, dem sie eines Tages über den Weg gelaufen ist. Oder auch Shirley, eine frühere Lehrerin, die ihrem verstorbenen Mann hinterhertrauert und sich an glückliche Zeiten erinnert …
Das Kino Indiens ist hierzulande nicht unbedingt ein Lockmittel für die Massen, was auch an dem tendenziell eintönigen Angebot liegt. Zwar hat Netflix in den letzten Jahren einiges dafür getan, auch ganz andere Facetten des asiatischen Landes zu uns zu bringen – die Thrillerserie Der Pate von Bombay, die Horrorproduktion Ghul und das Drama Soni, um nur einige zu nennen. Doch in erster Linie verbinden wir den östlichen Vielvölkerstaat mit den rauschenden Bilderfesten Bollywoods, wenn große Gefühle ganz groß inszeniert werden, mir viel Tanz, viel Musik und viel Farben. Und das gern auch mal ein bisschen länger, Zurückhaltung ist bei solchen Werken nicht angesagt.
Wie aus einem Bilderbuch
Bombay Rose wird daran nicht wirklich etwas ändern, da der Netflix-Film doch oft genug auch auf die Mechanismen und Themen dieser Bombast-Romanzen setzt. Allerdings findet er doch eine interessante Variante hiervon. Regisseurin und Drehbuchautorin Gitanjali Rao entschied sich nämlich, die Geschichte um mehrere Liebesbeziehungen in Form eines Animationsfilms umzusetzen. Das allein ändert natürlich erst einmal nicht viel, ist ja bloß eine andere Verpackung. Und doch ändert sich gleichzeitig viel, denn die Verpackung ist so einzigartig, so packend auch, dass man selbst als Bollywood-Verächter eine ganze Weile auf das muntere Treiben schauen kann.
Der Clou von Bombay Rose: Rao hat ihre Geschichte in Form von gemalten Bildern umgesetzt. Tatsächlich wird an mehreren Stellen das Gefühl haben, ein richtiges Gemälde vor sich zu haben. Der Film überzeugt nicht nur durch Detailreichtum, sondern auch eine ausdrucksstarke Verwendung von Farben. Vor allem Rottöne dominieren die Straßen der Millionenstadt, die gleichzeitig sehr originalgetreu und doch auch etwas märchenhaft in Erscheinung treten. Da auch die Verwendung von Licht sehr effektiv ausfällt, ist atmosphärisch kaum etwas auszusetzen. Lediglich die Animationen fallen deutlich negativ auf, das hat hier schon etwas von Daumenkino.
Viel Stoff, wenig Verknüpfung
Die eigentlichen Schwächen sind jedoch inhaltlicher Natur. Rao ist zwar sichtlich bemüht, jede Menge Inhalt in ihren Film zu packen. So wechselt Bombay Rose, das bei den Filmfestspielen von Venedig 2019 Premiere hatte, nicht nur zwischen mehreren Handlungssträngen hin und her, es werden zudem verschiedene Zeitebenen eingeführt, die sich überlappen können. Die Geschichten großer Romantik werden zudem mit gesellschaftlich relevanten Themen aufgeladen, sei es der Kaschmir-Konflikt oder die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Religionen. Und doch wirkt es so, als war die Arbeit am Drehbuch nur ein Nebengedanke, während jahrelang an den Bildern gewerkelt wurde. Die einzelnen Verknüpfungen funktionieren einfach nicht so recht.
Selbst wer den Film vom Anfang bis zum Schluss angesehen hat, wird sich schwer damit tun, in irgendeiner vernünftigen Form zusammenzufassen und trotz des Rot-Overkills einen roten Faden zu finden. Das ist natürlich schade, da mit einem stärkeren Inhalt ein echter Ausnahmetitel hätte entstehen können, der nicht nur anders aussieht als nahezu alles, was der Animationsbereich derzeit hervorbringt, sondern auch eine andere Form des Geschichtenerzählens anstrebt – losgelöst von Strukturen und klassischen Dramaturgien. So bleibt aber „nur“ eine faszinierende Oberfläche, die man sich zumindest als Animationsfan nicht entgehen lassen sollte und von der zu hoffen ist, dass sie nach dem derzeitigen Festivallauf auch regulär ein Publikum finden darf.
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