Große dunkle Augen, glasiger Blick, das blasse Gesicht umrahmt von einem schwarzen Hidschab: „Pures Klischee“, schimpft Maryam Zaree (Systemsprenger), Schauspielerin und Regisseurin, bei der Anprobe für eine Rolle: „So sieht keine Geflüchtete aus, wenn sie in Deutschland ankommt.“ Die Iranerin kam selbst als politisch Verfolgte nach Deutschland – als Zweijährige trug sie ihre Mutter Nargess über den Bahnsteig des Frankfurter Hauptbahnhofs. In körnigen Videoaufnahmen zeigt Zaree ihre Kindheit in Deutschland – Mayram als plappernde, neugierige Schülerin, die mit ihren Deutschkenntnissen prahlt oder genüsslich ein Eis verspeist. Die Videos entstanden für ihren Vater, der aus irgendwelchen Gründen nicht bei Mutter und Tochter sein konnte. Erst mit Mitte 30 erfährt Zaree, wo ihr Vater ihre Jugend über steckte: in Evin, dem berüchtigten Gefängnis des Irans, in dem Tausende politische Gefangene gefoltert und getötet wurden.
Am Anfang war das Gefängnis
Sie selbst, erfährt Zaree durch Zufall von der Schwester ihrer Mutter, sei in Evin geboren worden – 1983, nachdem ihre Eltern im Zuge der iranischen Revolution verhaftet wurden. „Was ist das für eine Geschichte“, fragt sich die Regisseurin, der sie mit der Dokumentation auf den Grund gehen will. Doch die Person, die am meisten über ihre Geburt erzählen könnte – ihre Mutter – schweigt. Hoch emotional nähert sich Zaree ihrer Lebensgeschichte, die auch ein exemplarischer Teil der iranischen Geschichte ist. Auf ihrem Weg trifft sie eine Zellengenossin ihrer Mutter, die ihr erzählt, wie sie in dem Zellentrakt von den Mitinsassinnen geherzt und willkommen geheißen wurde. Sie hört aber auch die traurigen Geschichten von Evin-Kindern, die den Schmerz ihrer Mütter miterleben mussten.
Auf der Konferenz der Iranerinnen im Exil sucht Zaree nach weiteren Kindern, die in Evin waren oder dort geboren wurden. Ihre Suche führt sie zum Iran-Tribunal, das 2012 in Den Haag stattfand, um auf die Verbrechen des iranischen Regimes aufmerksam zu machen. Doch es gibt nicht viele Menschen, die mit Zaree über ihr persönliches Schicksal sprechen möchten. Die kollektiven Auswirkungen des grausamen Chomeini-Regimes, das Trauma der politischen Gefangenschaft, der Folter und der Hinrichtungen, zeigen sich in der Fülle individueller Schicksale, die sich in Schweigen hüllen.
Ein später moralischer Sieg
Die wenigen Geschichten, die die Regisseurin erfährt, zeichnen Evin als einen sehr dunklen Orte, in dem dennoch Hoffnung aufschimmert. Sie trifft sich mit drei Frauen, die als Kind nach Evin kamen oder selbst, wie Zaree, in Evin geboren wurden. Drei Frauen, die ebenfalls versuchen, gegen das Schweigen der vergangenen Generationen anzugehen: Chowra Makaremi arbeitete zur Zeit des Drehs an einem Filmprojekt über die iranische Revolution, Nina praktiziert als Psychotherapeutin in London und spricht über ihren Kampf gegen ihre Träume, ihr Trauma und das ihrer Mutter. Sahar Delijani, Autorin des Buches Kinder des Jacarandabaums, lebt in Kanada und offenbart in den Geschichten über ihre Mutter, wie eine stolze Frau auch durch Angst und Gewalt nicht gebrochen werden konnte: „Wenn sie zum Verhör gerufen wurde, ließ sie sich Zeit, richtete ihre Augenmaske und tat als ob sie sich für eine Party schick machen würde: ‚Die wollen mit mir reden, ich hab alle Zeit der Welt‘ hat sie dann trotzig erwidert.“
Die Doku, die in der Rubrik Perspektive Deutsches Kino auf der Berlinale 2019 lief, sammelt diese wenigen Stimmen, die vor allem starken, emanzipierten Frauen gehören, und untermauert damit die Makaremis Theorie: Die Kinder der politisch Unterdrückten, der Dissidenten und Opfer des Chomeini-Regimes, ihr freies, selbstbestimmtes und friedvolles Leben sind der moralische Sieg ihrer Eltern über ihre Feinde und Unterdrücker – Menschen, die weiterhin ungestraft im Iran an der Macht sind.
(Anzeige)