Dass die Welt nicht gerecht ist, das muss man eigentlich gar nicht groß wiederholen. Wissen tun das die meisten, die einen mehr, die anderen weniger. Die einen stören sich auch mehr daran als andere, naturgemäß. Denn von Ungerechtigkeit kann man schließlich profitieren. Ungünstig ist jedoch, wenn immer weniger Leute von dieser Ungerechtigkeit profitieren, die Vorteile sich auf einen zunehmend beschränkten kleinen Kreis konzentrieren. Das kann denjenigen viel bringen, Geld, Macht, Spaß. Doch das Risiko besteht, dass die größer werdende Gruppe der Abgehängten sich irgendwann erhebt und notfalls mit Gewalt auf eine Aufhebung dieser Besitz-Hierarchien drängt. Beispiele in der Vergangenheit hat es einige gegeben. Und vielleicht, so impliziert Das Kapital im 21. Jahrhundert, steht uns das bald schon wieder bevor.
Dieses nicht sehr hoffnungsvoll stimmende Szenario geht dabei auf Thomas Piketty bzw. dessen gleichnamiges Sachbuch zurück, das 2014 erschien und weltweit für verkniffene Gesichter sorgte. Das war durchaus erfolgreich, auch wenn die Reaktionen gemischt waren. Die einen stellten die Grundlagen in Frage, andere vielleicht auch die Schlüsse, die daraus gezogen wurden. Worin sich die meisten aber einig waren: Das Buch trägt zu einer längst überfälligen Debatte bei, wie Reichtum verteilt werden soll und was das mit einer Gesellschaft anstellt, wenn darauf nicht geachtet wird. Denn dass sich diese Ungleichheiten von selbst auflösen, daran glauben wohl nicht einmal die größten Anhänger des Kapitalismus.
Das haben wir doch schon mal gesehen?
Der Dokumentarfilm Das Kapital im 21. Jahrhundert holt die im Buch angesprochenen Themen nun auf die Leinwand, um auf diese Weise noch weitere Menschen anzusprechen. Ob das Kino dafür wirklich der geeignete Ort ist, darüber kann man sich sicherlich streiten. Regisseur Justin Pemberton, der den Film zusammen mit Piketty umsetzte, fiel jedenfalls nicht so wahnsinnig viel ein, um das Ganze visuell aufzubereiten. Das meiste Zeit über sehen wir die aus dem Dokumentationsumfeld gefürchteten sprechenden Köpfe. Dazwischen gibt es noch ein paar Szenen aus Filmen, Stolz und Vorurteil und Les Misérables sollen zur Veranschaulichung von Missständen dienen.
Das ist anfangs ein wenig verwirrend. Gleiches gilt für die Ausflüge in die Vergangenheit im Allgemeinen: Wer angesichts des Titels erwartet, dass der Film tatsächlich groß über das Kapital im 21. Jahrhundert spricht, der muss sich ziemlich gedulden. Rund zwei Drittel des Films sind der Aufarbeitung der Vergangenheit gewidmet, sprich wir dürfen im Schnelldurchlauf erfahren, wie sich Besitztümer und Hierarchien im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte so gewandelt haben. Diese Entwicklung ist dabei chronologisch, wenn auch nicht wirklich einheitlich. Nach anfänglichen Fortschritten wurden viele Errungenschaften wieder umgedreht, zuletzt ging die Schere wieder ganz weit auseinander – ohne Anzeichen zu machen, das noch einmal zu ändern.
Viele Momente, kein richtiges Ende
Interessant sind diese historischen Ausführungen durchaus. Wer sich nicht mit dem Thema auskennt, der bekommt hier einen kleinen Einführungskurs und darf auf der nächsten Party mit mehr Allgemeinwissen glänzen. Frustrierend wird Das Kapital im 21. Jahrhundert hingegen für diejenigen Zuschauer und Zuschauerinnen sein, die sich eine tatsächliche Auseinandersetzung wünschen. Im Idealfall vielleicht auch eine Vision. Lösungsansätze werden zwar angesprochen, darunter der Klassiker Vermögenssteuer. Es folgen aber keine Debatten, keine Diskussionen oder sonstige Möglichkeiten, mehrere Ansichten zu hören. Vielmehr präsentiert der Dokumentarfilm lauter Einzelposten und lässt diese unkommentiert im Raum stehen – darunter auch die diskussionswürdige Ansicht, China habe mehr für ein Gleichgewicht in seiner Bevölkerung getan als der Westen.
Auch an anderen Stellen wird man beim Beitrag vom Filmfest Hamburg 2019 hellhörig: Anhand eines Monopoly-Experiments werden Rückschlüsse gezogen, wie sich Besitz auf Menschen auswirkt. Wer mehr hat, so das Ergebnis, der ist der Ansicht, dass ihm mehr gehört und andere Menschen weniger wert sind – selbst wenn der Besitz nur Folge eines glücklichen Umstands ist. Ist Ungerechtigkeit also auch einer angeboren psychologischen Eigenschaft der Menschen geschuldet? Ist Ungerechtigkeit ein Unfall oder die logische Konsequenz, weil System und Menschen gar nicht anders können? Darüber hätte man gern noch mehr erfahren. Aber auch so ist Das Kapital im 21. Jahrhundert ein zumindest diskussionswürdiger Film, selbst wenn er sicherlich nicht die Bedeutung seiner Grundlage erlangen wird.
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