Der Glanz der Unsichtbaren
© JC Lother

Der Glanz der Unsichtbaren

Der Glanz der Unsichtbaren
„Der Glanz der Unsichtbaren“ // Deutschland-Start: 10. Oktober 2019 (Kino)

Es ist ein Schock für alle Beteiligten: Da es „L’Envol“, einer Tagesstätte für obdachlose Frauen, kaum gelingt, diese wieder in der Gesellschaft zu integrieren, soll sie nun geschlossen werden. Ein paar Monate bleiben noch, dann müssen alle da raus und sich etwas Neues suchen. Für die Sozialarbeiterinnen Manu (Corinne Masiero), Audrey (Audrey Lamy), Hélène (Noémie Lvovsky) und Angélique (Déborah Lukumena) kommt es aber gar nicht in Frage, ihre Schützlinge einfach so aufzugeben. Also tun sie alles in ihrer Macht Stehende, um die hoffnungslosen Fälle wieder aufzurichten und ihnen dabei zu helfen, einen Job zu finden. Doch das ist gar nicht so einfach, zumal sich nicht jede helfen lassen will …

Gesehen haben wir sie alle schon mal, auch wenn wir sie nicht sehen. Menschen, die sich in den Schatten der großen Städte bewegen, sich Parkbänke oder Brücken oder auch mal Bürgersteige suchen, um dort zu schlafen, weil sie keinen anderen Ort haben. Keinen eigenen Ort. Vielleicht bleiben wir hier und da mal stehen, drücken einen Euro in die Hand, um unser Gewissen zu beruhigen oder fragen uns kurz, wie das überhaupt dazu kommen konnte. Meistens aber ignorieren wir Obdachlose und andere Menschen am Rand der Gesellschaft, wollen lieber nicht daran erinnert werden, dass so etwas überhaupt möglich ist.

Schaut wieder hin!
Louis-Julien Petit will das nicht einfach so hinnehmen, das zeigt der französische Regisseur und Co-Autor recht deutlich. Sein Ziel: Die Unsichtbaren wieder sichtbar machen, den Stummen eine Stimme geben. Dafür hat er sich eine Reihe interessanter Exemplare ausgesucht. Zwar sind die obdachlosen Frauen die Verlierer der Gesellschaft und offenkundig nicht in der Lage, wieder ihren Weg dorthin zurückzufinden. Das macht sie jedoch nicht zu einem formbaren Niemand. Der Glanz der Unsichtbaren stattet viele der Besucherinnen der Tagesstätte mit einer erkennbaren Persönlichkeit aus, mit einer Vorgeschichte auch, vergleichbar zum Gefängnis-Mikrokosmos in Orange Is the New Black.

In diesen sind auch Gründe zu finden, weshalb sie gelandet sind, wo sie heute sind. Eine tötete ihren gewalttätigen Mann und landete danach im Knast, auch körperliche und psychische Krankheiten können Auslöser gewesen sein. Aber nicht immer ist die Erklärung so einfach, gibt es einen klaren Punkt, mit dessen Hilfe das Ende seinen Anfang findet. Der Glanz der Unsichtbaren will das aber auch gar nicht. Es geht Petit weniger darum, die Ursachen zu finden und zu bekämpfen, dafür sind die auch viel zu individuell. Vielmehr fordert er von der Gesellschaft ein, die Betroffenen ernst zu nehmen, sie als Menschen mit einem ebenso großen Wert wahrzunehmen und sich für sie einzusetzen. Weil sie es verdienen. Die Tragikomödie, die unter anderem beim Filmfest München 2019 lief, glorifiziert die Frauen deswegen aber nicht. Vielmehr sollen alle Facetten gezeigt werden, die guten wie die schlechten.

Zwischen Doku und Märchen
Insgesamt ist der dokumentarisch anmutende Teil, der sich mit den Hintergründen der Obdachlosen auseinandersetzt, auch der spannendere, nicht zuletzt weil die diversen Laiendarstellerinnen ihre eigenen Erfahrungen miteinfließen lassen konnten. Bei den zeitmäßig fast ebenbürtig eingestreuten Geschichten um die Betreuerinnen wirkt das schon konstruierter. Und zum Ende hin verlässt Der Glanz der Unsichtbaren ohnehin die trüben Aussichten eines Sozialdramas und will die Menschen mit einem Lächeln aus den Kinos entlassen und daran glauben lassen, dass alles wieder gut werden kann, wenn wir nur alle ein bisschen zusammenrücken und aufeinander achtgeben.

Das mag dann etwas beschönigend sein, im Vergleich zu anderen Gesellschaftsbeiträgen wie etwa Les Misérables darf man hier Mut schöpfen. Und man darf Spaß haben: Der Glanz der Unsichtbaren baut jede Menge komischer Szenen ein, die sich in erster Linie aus dem Miteinander der kuriosen Obdachlosen ergibt. Auch das hilft dabei, das schwere Thema etwas verdaulicher zu machen, der Film kombiniert das Ernste mit dem Heiteren, spricht von sozialer Kälte und ist dabei selbst sehr warmherzig. Das ist durchaus auch für ein größeres Publikum geeignet, in Frankreich waren es immerhin 1,3 Millionen Besucher. Aber auch in Deutschland sind die Grundlagen da für einen Publikumserfolg, denn vieles in dem Film ist problemlos auf andere Länder übertragbar. Die Kombination aus sozialer Message und Unterhaltung, die ist bei uns in Zeiten zunehmender sozialer Kälte genauso angebracht wie nebenan.



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„Der Glanz der Unsichtbaren“ wirft einen Blick auf die Situation von Obdachlosen und ist ein Plädoyer, dieser wieder wahr und ernst zu nehmen. Die Tragikomödie kombiniert dabei dokumentarisch anmutende Erzählungen mit viel Herz und Humor zu einem Wohlfühlfilm, der in Zeiten sozialer Kälte viel Wichtiges zu sagen hat.
7
von 10