Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, heißt es. Dass daran durchaus etwas dran ist, das führt Die Insel der hungrigen Geister vor Augen, mehrfach. Es beginnt auch schon bei dem Titel, der Assoziationen mit Horrorfilmen aus anno dazumal weckt. Und um diesen Horror noch ein wenig zu verstärken, sehen wir zu Beginn des Films einen Mann durch einen Wald hetzen. Wer er ist, erfahren wir nicht, ebenso wenig, an welchem Ort wir uns befinden und vor wem er eigentlich auf der Flucht ist. Wohl aber merken wir, dass es um Leben und Tod geht und nicht mehr viel Zeit bleibt.
Ganz anders ein Bild, das zu einem späteren Zeitpunkt folgt. Darin sehen wir feuerrote Krabben, die ebenfalls etwas wuselig eine große Straße überqueren. Dass da Menschen irgendwo herumlungern, hat keinen Einfluss auf die Wanderung. Die Krabben, so viel wird klar, die waren da schon sehr viel länger. Sie werden sich auch nicht davon abhalten lassen, diesen Weg zu gehen, wieder und wieder, so oft es ihr Leben zulässt. Und das kann oft sein, bis zu 70 Jahren werden die Tiere alt. Das sind genügend Gelegenheiten, um in riesigen Strömen aus dem Dschungel zur Küste zu wandern, gleichzeitig, gemeinsam.
Frei und gefangen
Doch was haben der spannende Auftakt und der surreale Anblick gemeinsam? Das erschließt sich erst mit der Zeit. Regisseurin Gabrielle Brady pflegt nicht nur bei dem Titel ihres ersten Langwerks einen Hang zum Mysterium, sie erklärt auch während des Films nicht so wahnsinnig viel. Dafür zeigt sie umso mehr. Von den Tieren, die auf der Weihnachtsinsel leben, einer von Australien verwalteten 135 km2 großen Insel im Indischen Ozean. Von der menschlichen Bevölkerung, die vorrangig aus Chinesen besteht. Und von den Menschen, die gar nicht hierher gehören: illegale Einwanderer, die Australien in speziellen Lagern gefangen hält.
Der Kontrast könnte nicht größer sein. Auf der einen Seite die frei herumlaufenden Tiere, denen die Menschen den Weg freimachen. Auf der anderen Seite die Menschen, die wie Tiere gehalten werden. Wie lange sie in den Lagern sein werden, das weiß keiner. Wer sich von den australischen Behörden erwischen lässt, sollte nicht auf Regeln oder Abmachungen hoffen. Anders als verurteilte Verbrecher, denen ein Strafmaß verkündet wurde, so erfahren wir irgendwann, gibt es in den Lagern erst einmal keine zeitliche Begrenzung. Das kann bald sein oder nie, manch einer stirbt, noch bevor er wieder von der Insel kommt.
Hier und doch nicht hier
Dass diese Tortur inmitten eines paradiesischen Umfelds geschieht, macht die Erfahrung surreal. Allgemein hat man aber bei Die Insel der hungrigen Geister mitunter das Gefühl, nicht mehr auf dieser Welt zu sein. Denn auch die Rituale und Überzeugungen der chinesischen Bevölkerung finden ihren Weg in den Film, wenn sie von ihren eigenen Vorfahren erzählen, die hier gestorben sind, weit weg von zu Hause. Und dann wäre da noch Poh-Lin Lee, die als Therapeutin versucht, den Asylanten beizustehen und helfen will, die jeweiligen Traumata zu überwinden. Doch dabei stößt sie immer wieder auf Grenzen, durch außen, wenn ihr mal wieder die Arbeit erschwert wird. Aber auch von innen, wenn die hoffnungslose Lage irgendwann Spuren hinterlässt.
Aus diesen drei Bestandteilen, der Natur, den Einwohnern und den Gefangenen macht Brady einen ganz eigenen Film, der gleichzeitig verzaubert und verstört. Gespenstisch schöne Aufnahmen eines Ortes, den man nicht verlassen möchte, und herzerweichende Momente eines Gefängnisses, das niemand verlassen kann. Das passt nicht zusammen und tut es am Ende doch: Die Insel der hungrigen Geister ist ein sehr sehenswerter, wunderbar bebildeter Film über natürliche Kreisläufe und Freiheit und gewaltsame Versuche, diese zu unterbinden. Ein Film, der verwirrt, auch durch das unwirkliche Ambiente und die Verweise auf das Mythologische, und dabei doch sehr aktuell und im hier und jetzt ist.
(Anzeige)