Dilili ist es gewohnt, dass andere Leute sie anschauen, schließlich ist das Mädchen aus dem Volk der Kanaken Teil einer Ausstellung in einem Pariser Zoo. Stattdessen würde sie aber lieber selbst schauen, die Welt erkunden, Geschichten hören. Die Gelegenheit hierzu erhält sie, als sie dem Lieferjungen Orel über den Weg läuft, der sich wie kein anderer in der Stadt auskennt. Durch ihn lernt Dilili viele berühmte Leute kennen, die sie alle auf die eine oder andere Weise inspirieren und denen sie nacheifern möchte. Doch zunächst gibt es eine dringendere Aufgabe für das Mädchen: Immer wieder wurden zuletzt in Paris Kinder entführt, irgendwelche finsteren Männer sollen dahinterstecken. Und Dilili ist fest entschlossen, zusammen mit Orel der Sache auf den Grund zu gehen …
Michel Ocelot gehört sicher zu den bekanntesten französischen Animationsregisseuren der letzten Jahrzehnte. Zu den abwechslungsreichsten würde man ihn aber nicht unbedingt zählen. Wer sich die Filmografie des mittlerweile 75-Jährigen anschaut, der findet darin vor allem Teile aus zwei Reihen. Die eine handelt von dem kleinen afrikanischen Jungen Kiriku, der nach dem großen Erfolg von Kiriku und die Zauberin zum Aushängeschild des Filmemachers wurde. Die andere umfasst diverse Filme, die auf orientalischen Märchen basieren und in einer Schatten-Scherenschnitt-Optik umgesetzt wurden – etwa Tales of the Night. Das letzte Werk des Franzosen, das weder der einen, noch der anderen Reihe angehört, war Azur & Asmar im Jahr 2006.
Menschen als Tiere
Umso größer die Freude, als sich Ocelot letztes Jahr mit Dilili in Paris wieder zurückmeldete, das trotz diverser Gemeinsamkeiten mit den anderen Filmen etwas ganz Eigenständiges ist. Die erste Gemeinsamkeit erfolgt gleich zu Beginn: Wenn wir Dilili in ihrem vermeintlich authentischen Dorfumfeld beobachten, meint man, letztendlich doch nur einen weiteren Kiriku-Teil zu sehen, nur eben mit einem Mädchen statt einem Jungen. Das entpuppt sich aber kurze Zeit darauf als kleine List des Regie-Veteranen, wenn die Kamera zurückfährt und wir das Zooumfeld wahrnehmen. Wenn das Mädchen auch deutlich artikulierter ist und sich in einem sehr vornehmen Französisch ausdrückt.
Das Spiel mit den Erwartungen ist aber nicht einfach ein schelmischer Witz. Vielmehr wird Dilili in Paris immer wieder das Verhältnis der Franzosen zu Ausländern thematisieren. Rassismus ist schließlich kein neues Phänomen, das gab es vor etwas mehr als hundert Jahren zur Zeiten der Belle Époque genauso. Wenn sich das Mädchen anhören muss, dass es kein wirklicher Mensch ist, schließlich hat es eine dunkle Hautfarbe, dann ist das nicht nur eine Erinnerung an das schändliche koloniale Erbe. Es ist auch ein direkter Verweis, der bis in die Neuzeit reicht. Und auch die Unterdrückung von Frauen mag hier zwar auf groteske Weise überzeichnet werden, ist aber trotz allem von einer traurigen Aktualität.
Eine ausführliche Reise in die Vergangenheit
Ansonsten aber ist der Film völlig in der Vergangenheit verwurzelt. Genauer war es das Anliegen von Ocelot, die eher zeitlosen gesellschaftlichen Themen mit einem Zeitporträt der Belle Époque zu verbinden. Mitunter verkommt Dilili in Paris auf diese Weise ein wenig zu einer Zitatesammlung, wenn der Film im Minutentakt berühmte Persönlichkeiten dieser Ära vorstellt, von der Wissenschaftlerin Marie Curie über die Sängerin Emma Calvé bis zu Marcel Proust oder Auguste Rodin. Die Suche nach den verschwundenen Kindern bzw. den Hintersmännern wird auf diese Weise zu einem klassischen MacGuffin, ein bloßer Anlass, um Dilili und Orel durch die ganze Stadt rennen zu lassen und eine Geschichtsstunde nach der anderen abzuhalten. Als eigene Geschichte ist das weniger interessant, lediglich die Mystery-Elemente rund um die entführten Kinder halten da die Neugierde hoch.
Dafür überzeugt der Beitrag vom Schlingel Filmfest 2019 mit einer leicht surrealen Atmosphäre und einer ganz eigenen Optik. Prinzipiell ähnelt sie natürlich den vorangegangenen Filmen von Ocelot. Erneut arbeitet er mit starren Hintergründen und einer Seitenperspektive der Figuren, was wahlweise an alte Computer-Adventures oder ein Kasperl-Theater erinnert. Nur dass er diesmal die Exotik Afrikas oder des Orients gegen ein vergangenes Frankreich eintauscht, welches hier stimmungsvoll und streckenweise fotorealistisch eingefangen wurde. Das ist mal mit einer gewissen Nostalgie verbunden, kann aber auch ausgesprochen düster werden. Das passt nicht unbedingt zusammen, aber das ist in Dilili in Paris Programm, wenn gleichzeitig Erwartungen erfüllt und unterwandert werden, es hier mal nicht um Magie und Zauberei geht und doch eine märchenhafte Note über der Stadt liegt.
OT: „Dilili à Paris“
Land: Belgien, Frankreich, Deutschland
Jahr: 2018
Regie: Michel Ocelot
Drehbuch: Michel Ocelot
Musik: Gabriel Yared
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