Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern
© Alamode Film

Dora oder Die sexuellen Neurosen unserer Eltern

Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern DVD
„Dora oder Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ // 21. Mai 2015 (Kino) // 30. Oktober 2015 (DVD)

Bis zu ihrem achtzehnten Geburtstag steht die geistig behinderte Dora (Victoria Schulz) unter stark sedierenden Medikamenten. Dann entscheiden sich die Eltern allerdings dazu, diese abzusetzen und ihrer Tochter ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Dass die junge Frau nicht nur das Leben ganz neu entdeckt, sondern auch ihre eigene Sexualität, stellt die Familie schon bald auf eine sehr harte Probe. Denn Dora erwählt Peter (Lars Eidinger) als ihren Freund, der sich jedoch fernab der intimen Zweisamkeit herzlich wenig für sie interessiert. Wie handhaben nun die Eltern Situationen, deren Komplexität Dora nicht zu begreifen vermag, aber folgenschwere Entscheidungen haben? Und das schon bald auch nicht mehr nur für sich selbst …

Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern ist ein durchaus schwieriger Film über Menschen mit Behinderungen, die ebenso ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben haben, aber auch über Eltern, die ihre Kinder in eine ungewisse, möglicherweise gefahrvolle Zukunft loslassen müssen. Sicherlich ein Thema, das nach wie vor Aufmerksamkeit braucht, aber vermutlich sensibler gehandhabt werden sollte, als es die Regisseurin Stina Werenfels getan hat. Ihr Drama wirkt oftmals zu einseitig, zu stigmatisierend und vor allem schlichtweg zu plump. Der Film will augenscheinlich mehr, als er dann mit der Geschichte um Dora dem Zuschauer vermitteln mag.

Ich sehe was, das du nicht siehst
Dass sie dabei darstellerisch zwar auf den Blickwinkel der Protagonistin Dora zurückgreift, ist zunächst einmal sehr erfrischend, wird im Verlauf aber zunehmend ermüdend. Denn ist das Erwachen aus dem Medikamenten induzieren „Dämmerschlaf“ visuell noch nachvollziehbar, um dem Zuschauer die Sinneswandlung die Dora durchlebt näher zu bringen, so gestaltet sich dieser Handgriff später eher als missglückt. Dass Dora mehr oder weniger in ihrer eigenen Welt lebt, ist schnell klar. Jedoch unterbricht die Regisseurin immer wieder wichtige Momente, die bedeutend mehr Dialog mit anderen Beteiligten wie den Eltern benötigt hätten, mit dem Perspektivwechsel und schadet der Dramaturgie mehr, als dass dies nötig gewesen wäre. Es lenkt in dem Moment zu sehr ab und vergisst zugunsten einer visuellen Spielerei die wichtigen Nebenrollen.

Denn die Dramaturgie entfaltet sich eigentlich über die Rolle der Eltern und den chauvinistisch veranlagten Peter, Doras Auserwähltem. Warum also Werenfels zwar mit diesen Figuren unglaublich viel inhaltlich anreißt, aber trotzdem so wenig ins Detail geht, bleibt unerklärlich. Wäre da gleich zu Beginn einmal die Frage, warum die Eltern Dora bis zu ihrem achtzehnten Geburtstag so immens unter Medikamente gesetzt haben, obwohl Dora danach einen doch unaufgeregten und vor allem vergleichsweise unkomplizierten Eindruck macht. Sicherlich sind komplexe Handlungszusammenhänge nicht greifbar für das junge Mädchen, aber dennoch darf sie beispielsweise selbstständig in die Stadt und auch an einem Marktstand als Verkäuferin arbeiten. Umso interessanter ist also hinterher, warum sie so sehr „betäubt“ wurde. Auf eine Antwort wartet man hier allerdings vergeblich.

Fragen über Fragen
Nachdem also die Medikamente absetzt sind, macht sich auch sexuelles Verlangen bei der jungen Frau bemerkbar, womit gerade die Mutter zusehends überfordert ist, die währenddessen sogar nochmal versucht, schwanger zu werden. Das aber vergeblich. Dass dieser Umstand im krassen Kontrast zu der ungewollten (und unbewussten) Schwangerschaft der Tochter steht, hätte der Charakterdarstellung immens viel Spielraum gewährt. Stattdessen wird es einer dieser Momente, die den Film zusehends überfrachten und es arg erschweren, Verständnis oder gar Empathie für die beteiligten Figuren zu entwickeln, weil einfach nicht näher darauf eingegangen wird. „Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ bleibt insgesamt zu oberflächlich, was sich vor allem dann zusehends auch in der Figur Peter widerspiegelt. Bis zum Schluss bleibt er so dermaßen undurchsichtig, dass der Zuschauer nicht mal im Ansatz begreifen kann, was ihn antreibt, warum er sich dann doch in gewisser Weise auf Dora einlässt und ob in ihm überhaupt ein Fünkchen Gutes steckt.

Da die Figur so unglaublich einseitig beleuchtet wird, hat auch ein Charakterdarsteller wie Lars Eidinger (All My Loving, High Life) nur sehr wenig zu tun. Außer einmal mehr einen schnippisch arroganten Satz an der Kamera vorbei in Richtung seiner Quasi-Schwiegereltern loszulassen, passiert da fast gar nichts. Diese zu simplifizierte Darstellung  überträgt sich dann unglücklicherweise genauso auf die Protagonistin. Da muss man dem Film dann aber doch zugestehen: Dora wird ziemlich überzeugend durch Victoria Schulz (Fünf Dinge, die ich nicht verstehe, Electric Girl) porträtiert. Nichtsdestotrotz wirft das Drama zu viele Fragen auf, bei denen man aufgrund der unzulänglichen Charakterverbundenheit auch auf eine Antwort verzichten kann und kein ernsthaftes Interesse an der Thematik geweckt wird.



(Anzeige)

Ein Drama mit wichtigem Hintergrund, das aufgrund der Oberflächlichkeit und der Menge an angeschnittenen Themen oft übers Ziel hinausschießt. Diverse Momente beginnen dramaturgisch zwar stark, werden aber so gleich im Keim erstickt und lassen den Zuschauer perplex zurück. Der Film ist dann auch noch zu überladen, um dem Publikum überhaupt die Möglichkeit zu geben zu reflektieren, wer sich mit welchen Vorstellungen, Wünschen oder Begehren im moralisch vertretbaren Rahmen bewegt.
4
von 10