„In guten wie in schlechten Zeiten“, schwören sich Paare oft, wenn sie den Bund des Lebens eingehen. Die meisten werden das in dem Moment auch glauben, berauscht von ihrem Glück und erfüllt von den vielen Versprechungen, die ihnen die Welt da draußen gibt. Doch was das bedeutet, die schlechten Zeiten, das werden die wenigsten in ihrer Konsequenz vorausahnen können. Niggi zum Beispiel konnte nicht wissen, dass Annette einmal im Rollstuhl sitzen würde und auf seine Pflege angewiesen sein würde, als er ihr das erste Mal begegnete. Und selbst als die Diagnose kam, Multiple Sklerose, dachte er, dass noch länger Zeit bleiben würde. Stattdessen fiel Annette eines Tages ins Koma und erwachte vom Hals abwärts gelähmt wieder auf.
Für viele Paare wäre ein solcher Einschnitt wohl das Ende gewesen. Niggi und Annette sind aber kein Paar unter vielen. Eine Unterbringung im Heim kam für ihn nie in Frage, er entschloss sich, sein ganzes Leben umzukrempeln und an die neue Situation anzupassen. 20 Jahre ist der Vorfall nun her und noch immer kümmert er sich liebevoll um seine Annette. Sie sind auch nach wie vor aktiv, so gut es in diesen Umständen eben geht. Die beiden gehen nach wie vor ihrer Leidenschaft nach, dem Reisen. Mit dabei: Tochter Fanny Bräuning, die alles in ihrem Dokumentarfilm Immer und ewig festgehalten hat.
Ganz nah dran
Einen Film über die eigenen Eltern zu drehen, noch dazu in einer derartigen Situation, das kann immer etwas heikel sein, schließlich fehlt auf diese Weise die professionelle Distanz, die wir mit einer Dokumentation in Verbindung bringen. Bei Immer und ewig stellt sich dies aber als Vorteil heraus. Gerade weil Bräuning hier in ihre eigene Familiengeschichte eintaucht und dabei sehr private Dinge mit den Zuschauern und Zuschauerinnen teilt, wird das hier zu einem der persönlichsten und berührendsten Dokumentarfilme der letzten Zeit. Mit den beiden auf eine Reise zu gehen, bedeutet sie auch wirklich kennenzulernen und zu erfahren: Was heißt das eigentlich, Leben mit MS? Und wie ist das für die Angehörigen?
Konkret führt das zunächst zu jeder Menge Veränderungen. Niggi musste eigene Ambitionen, beispielsweise als Fotograf, aufgeben, Annette zu versorgen, ist ein Fulltimejob. Und natürlich ist auch Reisen unter diesen Umständen etwas anders, als wir es gewohnt sind. Niggi, ein leidenschaftlicher Tüftler, baute einen Bus so um, dass Annette darin mitreisen kann. Nur weil jemand die Fähigkeit zur Bewegung verloren hat, muss er ja nicht nur zu Hause rumsitzen und an die Decke starren. Aber es bringt eben den Zwang zu Flexibilität mit sich, setzt einen Willen zur Anpassung und auch Opferungsbereitschaft voraus.
Zwischen Licht und Schatten
Immer und ewig ringt diesen Strapazen immer etwas Schönes ab, wenn wir das Paar in trauter Zweisamkeit sehen. Und auch die Reisen selbst tun gut, sogar aus der Ferne des Kinosessels, vermitteln die Freude an der Welt, die Freude am Leben. Gleichzeitig hält Bräuning aber auch die Schattenseiten fest. Gedanken über den Tod reisen mit, Suizid ist kein Tabuthema. Er war es auch nie, wie die beiden verraten. Noch vor der Busreise, vor dem Koma, vor mehr als zwei Jahrzehnten, wurde darüber nachgedacht, wann der Zeitpunkt gekommen wäre, um Schluss zu machen. Darüber können auch die Bilder aus glücklichen Tagen nicht hinwegtäuschen, wenn der Film alte Familienaufnahmen ausgräbt. Das will er aber auch gar nicht.
Immer und ewig zeigt ein rührendes, sympathisches Paar, etwas eigenwillig, das für sich keine Allgemeingültigkeit in Anspruch nimmt. Vielmehr hat man hier das Gefühl, dass zwei Menschen in ihrer eigenen Welt leben und darin Glück gefunden haben. Das sieht sicher nicht so aus wie anfangs gedacht, der Beitrag von der Dok Leipzig 2018 funktioniert an der Stelle aber wie ein Mutmacher, dem Leben so zu begegnen, wie es sich einem anbietet. Nicht jeder muss Busse umbauen können, nicht jeder erkrankt auch an MS und fällt ins Koma. Zumindest aber regt der Film zum Nachdenken an, was wir bereit sind für andere zu tun und welchen Stellenwert Leben, Krankheit und Liebe haben – in guten wie in schlechten Zeiten.
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