Freunde hat Mizore nie so wirklich viele gehabt. Aber auf Nozomi war immer Verlass, obwohl sie eigentlich ganz anders ist. Aber die zwei eint nicht nur ihre Freundschaft, sondern auch die Liebe zur Musik, spielen sie doch beide im Schulorchester. Zurzeit proben sie für ein Konzert, wo das Orchester das Stück „Liz und der blaue Vogel“ vorführen will, das auf einem alten deutschen Märchen basiert. Doch so ganz will das mit dem Musizieren nicht funktionieren, da sie jeweils mit der Frage beschäftigt sind, wie es nach der Schule mit ihnen weitergehen soll – und mit ihrer Freundschaft. Zumal die Geschichte um ein Mädchen, das sich mit einem Vogel anfreundet, einige auffallende Parallelen zu ihrer eigenen aufweist …
Wenn es in Animes musikalisch zugeht, dann kann man sich fast immer sicher sein: Jetzt wird es dramatisch! Einer der beliebtesten Titel der letzten Jahre war sicherlich die Serie Shigatsu wa Kimi no Uso – Sekunden in Moll über ein Wunderkind am Klavier, das zurück in die Musikwelt finden muss. In The Anthem of the Heart lernt eine High-School-Schülerin mithilfe des Gesangs, sich anderen wieder zu öffnen. Und dann wäre da natürlich auch noch The Piano Forest, der von Rivalitäten im Kontext von Klavierspielern erzählt. Wer die schon durch hat, darf sich freuen, mit Liz und der blaue Vogel steht ein neuer Starttitel bereit, der hiesige Fans der japanischen Zeichentrickkunst verzaubern soll.
Alte Bekannte mit neuen Problemen
Wobei neu es nicht ganz trifft. Zum einen erschien der Film bereits vor anderthalb Jahren in Japan. Zum anderen basiert Liz und der blaue Vogel auf der Romanreihe Sound! Euphonium von Ayano Takeda und ist ein Spin-off der gleichnamigen Animeserie. Wer diese kennt, hat natürlich ein wenig mehr von dem Film, der sich gerade bei den Nebenfiguren schwer damit tut, alles für das Publikum aufzubereiten. Neueinsteiger erfahren relativ wenig über die Leute, mit denen Mizore und Nozomi musizieren. So wenig, dass sie nicht viel mehr als Hintergrunddeko sind, vor der die Geschichte erzählt wird. Oder auch die Geschichten, wenn sich immer wieder der Strang um die Konzertvorbereitung mit der Nacherzählung des Märchens kreuzt.
Regisseurin Naoko Yamada (A Silent Voice) nutzt diese Parallele, um die durchaus komplexe Beziehung zwischen den beiden Protagonistinnen deutlicher zu machen. Die eine ist schüchtern und hält sich immer an die Vorgabe ihrer deutlich extrovertierteren Freundin. Damit meint man, dass alles bereits gesagt würde und der Film davon handelt, wie eine ihren eigenen Weg findet. Das stimmt natürlich schon, wenn Mizore lernen muss, auf eigenen Beinen zu stehen und durch die Weld zu gehen. Aber es ist eben nur die Hälfte der Wahrheit, wenn Nozomi ebenfalls nicht ganz da ist, wo sie hingehört. Liz und der blaue Vogel erzählt davon, wie sich Menschen in einer Freundschaft verlieren, wie Hilfe und Unterstützung auch eine Form der wechselseitigen Abhängigkeit sein können.
Leise und schön
Das ist manchmal ein bisschen umständlich und über Bande erzählt. Zumal die Märchenvorlage einen überraschend großen Raum einnimmt. Dafür ist Liz und der blaue Vogel sehr viel weniger auf billige Manipulation aus, als man es aus dem Bereich zuweilen zu sehen bekommt. Das große Drama bleibt aus, stattdessen ist der Ton eher leise und zurückhaltend. Der Film lässt außerdem Platz für Ambivalenz und Enttäuschungen. So schwierig das Leben mitunter sein kann, so schwierig sind auch zwischenmenschliche Beziehungen – vor allem wenn sie nicht ganz im Gleichgewicht sind und vieles nicht offen angesprochen wird. Nicht alles muss im Leben immer klappen, nicht alles folgt Träumen und Märchen.
Traumhaft sind dafür die Bilder. Das Studio Kyoto Animation (Free! Take Your Marks, Love, Chunibyo & Other Delusions! Take on Me) hat sich in den letzten Jahren als eines der verlässlichsten in diesem Umfeld etabliert, kombiniert hier wie dort technische Expertise mit anmutigen Bildern, detaillierte Hintergründe mit guten Animationen. Gerade die Parallelhandlung um Liz und den Vogel gefällt durch ihre märchenartige Retro-Optik. Der schäbige Brandanschlag vor einigen Wochen, der 36 Todesopfer forderte, bedeutet daher nicht nur einen großen menschlichen, sondern auch künstlerischen Verlust und steht in einem nicht zu vereinbarenden Widerspruch zu dem sanften und lebensbejahenden Anime.
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