Neujahrstag. Murphy (Karl Glusman) wacht schwer verkatert auf und fällt sogleich in ein emotionales Loch. Liegt doch seine Freundin Omi (Klara Kristin) neben ihm, sein Sohn im Nebenzimmer und nicht seine verflossene große Liebe Electra (Aomi Muyock). Zu allem Überfluss versucht ihn auch noch die Mutter (Isabelle Nicou) seiner Ex zu erreichen. Electra sei seit mehreren Wochen ohne Lebenszeichen verschwunden. Da Electra zuletzt doch mehr mit Drogen in Kontakt kam, macht sich Murphy nur noch mehr Sorgen und lässt während seines Bangens um Electra, ihre Liebe Revue passieren. Warum wacht er neben jemanden auf, den er eigentlich gar nicht liebt, wie konnte es eigentlich soweit kommen, dass er und Electra sich getrennt haben und warum eigentlich scheint alles, frei nach Murphys Gesetz einfach nur schief zu laufen in seiner Existenz?
Dass Gaspar Noé gern provoziert ist ja hinlänglich bekannt. Neben Irreversibel, Enter The Void und dem im letzten Jahr erschienenen Climax ist Love ein weiteres bekannteres Werk des Skandalregisseurs, der nicht zu Unrecht das Publikum mit seinen Filmen gehörig spaltet. Egal ob man Noé dabei mag oder nicht, Love trägt ganz offensichtlich wieder seine Handschrift und erinnert stilistisch sehr an Enter the Void. Typische Kamerabewegungen, die schon irgendwie auch ein bisschen zum Markenzeichen vom Regisseur geworden sind, und knallige klare Farben, zuweilen in den Szenen monochrom dominant, wie man es zuletzt auch in Climax erlebt hat. Love kommt einem insgesamt sehr vertraut vor.
Lass uns Sex haben!
Nur sollte man sich darauf aber nicht ausruhen, denn überraschen kann der Film allemal. Auch wenn das vorrangig dann doch nur mit den Sexszenen gelingt, an denen Noé nun wirklich nicht spart und auf die man im gewissen Maße vorbereitet sein sollte. Obwohl weniger auch hätte mehr sein können was die Freizügigkeit anbelangt, passt es dann doch wieder in den Kontext und vor allem in Noés Vorstellung von seinem Film. Mag man seinen Aussagen hinsichtlich Climax glauben, dass dieser einfach aus einer Lust heraus einen Tanzfilm zu drehen entstand, so ist die Motivation für Love scheinbar ähnlich schlicht, aber in gewisser Weise auch plausibel.
Love ist ein Film über Sex während des Verliebtseins. Über Abhängigkeit und Sucht nach dem Körper des Anderen und wie sich Sex vom Anfang bis zum Schluss der Zweisamkeit verändern kann, wenn man wie bei Drogen irgendwann immer mehr und Neues braucht, um Befriedigung zu erlangen. Noé versucht aber gar nicht erst dem Zuschauer hier eigenen Schlussfolgerungen zuzulassen, sondern präsentiert seine Gedankenwelt zu dem Film komplett über seine Hauptfigur Murphy. Der würde ja auch gern Regisseur sein und einen Film über die Liebe drehen …und Sex, das ist schließlich das zweitbeste im Leben, wie er verlauten lässt. Aber dann eben so wie er ist, wenn man verliebt ist, denn das sieht man im Film ja sonst nie.
Der Fluch der falschen Erwartungen
Interessanterweise hat Murphy oder eher Noé schon Recht damit. Schaut man sich in der Filmwelt um, wie oft wird uns dann weisgemacht, Sex in einer Partnerschaft ist langweilig und erotische, wilde Momente entstehen oft nur, wenn man jemanden neu kennen lernt. Da wird Romantik fernab jeglicher Realität aufgefahren und lässt oftmals ganz falsche Erwartungen entstehen, wie eine Partnerschaft beginnt und wie Sexualität auszusehen hat. Love tut das jedenfalls nicht, rutscht aber glücklicherweise auch nicht ab in eine klischeebehaftete pornographische Darstellung. Dafür zeigt der Film noch genügend Momente, die das emotionale Auf und Ab der beiden und vor allem von Murphy darlegen und wie sie die Intimität der beiden beeinflussen. Klammert man mal die intimen Momente aus, wird Love ganz schnell zu einem durchaus depressiven Drama, bei dem sich die Hauptfigur fragt, wie es überhaupt so weit kommen konnte, dass er jetzt mit Kind und seiner Freundin zusammen lebt, die er aber eigentlich nicht wirklich liebt und dafür seine große Liebe verloren hat, der er immer noch hinterher trauert.
Insofern hat Noé schon ein gutes Gefühl für seine Geschichte, nur bläht er das ganze auf unnötige zwei Stunden auf, verpasst sich selbst auch noch eine Rolle und bringt sich namentlich auch noch in seinen eigenen Film mit ein, worüber man eigentlich nur schmunzeln kann, weil das dann doch fast ein wenig selbstgefällig wirkt. Abgesehen davon ist Love ein Film, der durchaus gelungen ist, man aber vorher ein wenig wissen sollte, wie Noé tickt und worauf man sich einlässt. Der Regisseur nimmt sich da netterweise auch einmal mehr die Freiheit ein Zitat im Hintergrund zu platzieren, dass Love kurz und knapp beschreibt: „Ein verstörender Film für ein erwachsenes Publikum, das darauf vorbereitet ist diesen zu sehen.“
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