Schon seit Längerem steht Inga (Arndís Hrönn Egilsdóttir) und ihrem Mann Reynir (Hinrik Ólafsson) das Wasser bis zum Hals. Der Hof, den die beiden mitten in der isländischen Einöde betreiben, steht immer wieder vor dem Aus, wie viele andere kommen die Milchbauern ihren Schulden nicht mehr hinterher. Als Reynir plötzlich stirbt und Inga sich nun allein um alles kümmern muss, bricht endgültig eine Welt für sie zusammen. Wie soll sie das alles nur schaffen? Doch nach und nach dämmert ihr, dass die Umstände nicht allein auf ihr Konto gehen, sondern dass die Genossenschaft, die in der Gegend ein Monopol auf die Landwirtschaft hat, ihre Hände da im Spiel hat. Und so wagt sie den Aufstand gegen einen mächtigen Feind, hat sie doch jetzt nichts mehr zu verlieren …
Da scheint irgendwas in Island zu sein, dass dort regelmäßig Frauen im mittleren Alter plötzlich gegen übermächtige Unternehmen ankämpfen. Letztes Jahr waren es Energiekonzerne, die in Gegen den Strom zur Zielscheibe weiblicher Aufmüpfigkeit wurden. In Milchkrieg in Dalsmynni wenden wir uns nun der Landwirtschaft zu. Das geht genauso, dass in dem Bereich viel Murks getrieben wird, das ist nicht gerade ein Geheimnis. Wenn sich jemand der Sache mal annehmen will und für ein bisschen Gerechtigkeit sorgen will, dann lässt sich nur schwer etwas dagegen einwenden.
Allein gegen alle anderen
Das Drama vom Toronto International Film Festival 2019 bezieht seine Stärke dann auch aus dem üblichen David-gegen-Goliath-Konflikt. Auf der einen Seite der kleine Niemand, auf der anderen Seite der Feind, der über alle herrscht, alle unterdrückt, ohne Chance. Körperliche Gewalt spielt dabei zwar keine Rolle, aber es gibt ja Alternativen, um eine Drohkulisse aufzubauen. Der Mittelpunkt eines solchen Kampfes bildet natürlich immer die Figur des einsamen Kämpfers. An ihm hängt sich alles auf, er ist maßgeblich dafür verantwortlich, ob man sich als Zuschauer dafür überhaupt interessiert, was da vorne auf der Leinwand passiert. Denn nur, wenn man die Figur mag oder zumindest irgendwie spannend findet, drückt man ihr die Daumen.
Regisseur und Drehbuchautor Grímur Hákonarson (Sture Böcke) zeigt hier durchaus Mut, wenn er ausgerechnet Inga zur Heldin macht. Denn die hat eigentlich nur wenig von einer Heldin. Weder ist sie besonders charismatisch, noch verfügt sie über nennenswerten Witz oder einen hervorstechendem Verstand. Dafür packt sie an, lässt sich so leicht von niemandem etwas sagen, hat auch keine Probleme damit, als Frau in einer Männerdomäne zu kämpfen. Das ist beeindruckend, zudem kraftvoll von Arndís Hrönn Egilsdóttir gespielt. An manchen Stellen zeigt Milchkrieg in Dalsmynni auch Sinn für Humor, wenn sich die resolute Witwe auf eher ungewöhnliche Weise zur Wehr setzt. Im Vergleich zu Gegen den Strom ist dieser isländische Kampf dennoch der deutlich düsterere, nicht zuletzt wegen der trüben Bilder einer hoffnungslosen Gegend. An manchen Stellen wird es auch sehr tragisch, gerade in Bezug auf den Trauerfall.
Schwierige Fragen ohne Antworten
Und noch einen Unterschied gibt es: Während die Energieunternehmen bei den Kollegen durch und durch als Feindbilder taugen, man sich also keine Gedanken machen musste, wer hier nun gut, wer böse ist, da ist Milchkrieg in Dalsmynni zumindest in Ansätzen ambivalenter. Denn eigentlich war die ländliche Genossenschaft seinerzeit gegründet worden, um sich gegen die Unternehmen aus der Stadt verteidigen zu können. Und zumindest an einer Stelle wird dann auch gefragt: Was würde passieren, wenn die Genossenschaft wegfällt? Würde das wieder Freiheit bedeuten für die ganzen Kleinbauern? Oder wären sie dann erst recht Konzernen schutzlos ausgeliefert, Konzerne, die noch deutlich größer sind als die Genossenschaft?
Leider drückt sich Hákonarson vor dieser Antwort, was auch mit einem ganz eigenartigen Pacing einhergeht. Lässt er sich anfangs noch viel Zeit, um seine Protagonistin einzuführen und die Rebellion zu wagen, muss es am Ende auf einmal ganz schnell gehen. Zu einer tatsächlichen Auseinandersetzung kommt es dabei nicht, in ein paar Sätzen muss das komplette Thema abgearbeitet sein. Das wird der Komplexität natürlich nicht gerecht, auch bei den Figuren wären mehr Grautöne schön gewesen, man kommt gar nicht dazu, mal ein bisschen nachzudenken und abzuwägen. Und das ist schon ziemlich schade, da das Drama eigentlich zur richtigen Zeit kommt und spannende Fragen stellt, über die es sich auf jeden Fall nachzudenken lohnt.
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