Der britische Regisseur Nick Broomfield kann auf eine lange Karriere im internationalen Filmgeschäft zurückblicken. In seiner Karriere erarbeitete sich Broomfield einen sehr eigenwilligen, sehr direkten Weg zu seinen Themen, sodass ihm sehr intime Porträts von Politikern wie Sarah Palin, Schauspielern wie Lily Tomlin oder kontroversen Persönlichkeiten wie Kurt Cobain oder Courtney Love gelangen. Berühmt wurde Broomfield für seine Dokumentation über die Serienmörderin Aileen Wuornos, ein Projekt, welches er bis heute als sein vielleicht schwierigstes beschreibt. Anlässlich seines Film Marianne & Leonard: Words of Love (Kinostart: 7. November 2019), eine Dokumentation über die Beziehung des Sängers Leonard Cohens zu Marianne Ihlen, haben wir Broomfield über die Inspiration für diesen Film interviewt, seinen persönlichen Bezug zu dessen Themen und die Schwierigkeiten bei der Recherche.
Was hat Sie an der Geschichte Leonard Cohens und Marianne Ihlens interessiert?
Als ich circa 20 Jahre alt war, war Marianne eine sehr einflussreiche und inspirierende Person für mich. Zu der Zeit war ich mitten in meinem Jurastudium, wusste aber nicht, ob dies etwas ist, was ich den Rest meines Lebens machen wollte.
Schließlich kam ich nach Hydra, einer griechischen Insel, der Heimat einer Gemeinde von Künstlern und Musikern, von der Marianne ein Teil war. Sie war eine sehr genaue Beobachterin von Menschen und ermutigte mich letztlich, meinen ersten Film zu machen.
Als 2016 zuerst sie und dann Leonard nur wenige Monate voneinander getrennt von uns gingen, dachte ich daran, dass ich nun zwei der wichtigsten Personen für mein Leben und wie es verlaufen ist verloren habe. Mit dem Film wollte ich dieser Verbindung Tribut zollen und zudem eine Brücke bauen zu jener Zeit, zu jenen Menschen, die ich damals auf Hydra kennengelernte. Natürlich wollte ich auch wieder auf diese Insel, an die ich sehr viele schöne Erinnerungen habe.
Sie sagten, dass die Nachricht vom Tod Leonard Cohens so kurz nach dem Marianne Ihlens Sie zu einer persönlichen Erkenntnis brachte. Können Sie das erklären? Hat dies vielleicht auch etwas mit Ihrem neuen Projekt My Father and Me zu tun?
Für mich war es die Erkenntnis, dass ich, wie wir vielleicht alle, durchs Leben gehe und manchmal nicht mitbekomme, welche Liebe bestimmte Personen mir geben oder welchen Einfluss sie auf mich haben. Weil das Leben oft einfach an einem vorbeirast, hatte ich das Gefühl, den Bezug zu vielen dieser Menschen verloren zu haben. In Bezug auf Marianne & Leonard soll der Film diese besondere Verbindung zeigen, aber auch ihre sehr intime Verbundenheit zueinander. Zwischen den beiden mag es nicht diese romantische Beziehung sein, die wir aus Filmen oder Büchern kennen, aber eine besondere Loyalität für den anderen, auch wenn man gerade räumlich sehr weit auseinander ist.
Schließlich blickte ich in einer Art auf mein Leben zurück, wie ich es vorher noch nie getan habe und so entstand das Projekt.
Welche Herausforderungen brachte ein Projekt wie Marianne & Leonard mit sich?
In Bezug auf die Struktur und die Anlage des Films fand ich es persönlich sehr schwierig, diesen persönlichen Aspekt der Geschichte zu erzählen, gleichzeitig aber den Fokus auf ihrer Liebesgeschichte zu halten. Dafür eine Form zu finden, die nicht darin endet, dass ich ihre beiden Geschichten parallel zueinander erzähle, war eine der größten konzeptionellen Herausforderungen.
Ein anderes Problem war es, den Film nicht nur als Geschichte über diese beiden Personen anzulegen, sondern auch als Porträt über die 60er Jahre, die Zeit, in der sie beide lebten, sowie deren Werte. Dies sollte natürlich, durch ihre Darstellungen und Äußerungen oder die Interviews mit anderen geschehen.
Der Film stellt an vielen Stellen, besonders mit Bezug auf Marianne Ihlen, die Frage, inwiefern die Bezeichnung „Muse“ oder „die Frau eines Künstlers“ negativ besetzt sind. Was denken Sie über diese Bezeichnungen?
Gerade in unserer Welt, die alles nach ihrem Wert bemisst, haben solche Bezeichnungen eine negative Konnotation erhalten. Der Titel „Muse“ hat für vielen einen Beigeschmack des 18. Jahrhunderts und ist bestimmt keine Kennzeichnung, mit der sich Frauen heutzutage identifizieren möchten, was ich in gewisser Weise verstehe. Aber wir vergessen dabei, dass „Muse“ auf ein ganz bestimmtes Talent verweist, das weit über das Bild eines Menschen hinausgeht, der dem Künstler etwas zu essen bringt oder einen Strauß Blumen auf den Schreibtisch stellt. Gerade im Fall von Marianne war sie es, die Leonard dazu gebracht hat, seinen einzigartigen Schreibstil in seine Musik zu implementieren und so zu einem ganz anderen Menschen, einem anderen Künstler zu werden.
Man kann sagen, dass ein Musikproduzent wie Rick Rubin, der jemanden wie Johnny Cash und dessen Musik komplett neu erfand, so wie er es auch für viele andere Musiker tat, doch genau das Gleiche getan hat. Rubin erkannte die Stärken dieser Menschen und zwang sie sich genau auf diese zu konzentrieren. Rubin gehört nicht umsonst zu einem der einflussreichsten und erfolgreichsten Produzenten.
Diese Stärken sah Marianne in Leonard, in mir und in vielen anderen Menschen und brachte sie zum Vorschein. Sie hätte problemlos sehr wohlhabend sein können, war dafür aber von ihrem Wesen her zu bescheiden und tat dies schlicht aus Liebe heraus. Vielleicht entsteht daher eine gewisse Tendenz, ihre Rolle im Leben von Menschen wie Leonard Cohen als untergeordnet zu betrachten, was aber keinesfalls der Wahrheit entspricht.
Abgesehen vom Künstler Leonard Cohen, welche Seiten haben Sie an ihm kennengelernt durch die Arbeit am Film?
Leonard war ein unglaublich disziplinierter und ehrgeiziger Mensch, der immer die Perfektion seines künstlerischen Schaffens anstrebte. Manchmal hat er sich an einem bestimmten Wort oder eine Formulierung aufgerieben, die ihm keine Ruhe ließ und er hat so lange daran gearbeitet, bis er zufrieden war. Sein Leben, seine Arbeitsroutine hatte etwas von einem Mönch: Er hat stets mindestens drei Seiten pro Tag geschrieben, ist sehr selten ausfallend geworden.
Das Militär hat Leonard immer sehr beeindruckt. Sein Vater, der starb, als Leonard noch sehr jung war, war eine wichtige Figur innerhalb des Militärs gewesen und wollte auch, dass sein Sohn auf eine Militärakademie geht. Jedenfalls haben militärische Tugenden wie Disziplin Leonard immer sehr beeindruckt, was man von ihm nicht sofort denken würde.
Daneben gab es noch seinen Großvater, einen Gelehrten, der ihm viel über seine Form der Disziplin, das Schreiben und Philosophie beibrachte. In diesem Sinne hat Leonard eine sehr klassisch orientierte Bildung erhalten.
Diese Haltung hat nicht nur Leonards Arbeitsleben geprägt, sondern auch alle anderen Lebensbereiche, meiner Meinung nach. Er war ohne Zweifel ein sehr emotionaler Mensch, was sich auch in seinen Songs zeigt, aber nach außen hin, beispielsweise, wenn beim Soundcheck etwas wiederholt nicht funktionierte, konnte er sich so gut wie immer beherrschen und erfüllte nie das Klischee des Musikers, was man so kennt.
Auch die vielen, langen Freundschaften, die Leonard stets pflegte, zeugen von diesem Lebensstil.
Diese Künstlerclique auf Hydra, wie Sie sie im Film zeigen, muss ja eine ganz einzigartige Gemeinschaft gewesen sein. Was können Sie über uns das Leben zu jener Zeit auf der Insel sagen und wie war es für den Film nach Hydra zurückzukehren?
Der Ursprung dieser Gemeinschaft geht zurück bis in die 50er Jahre, als Hydra eine sehr arme Gemeinde war. Es gab viele Häuser und Wohnungen, die teils sehr heruntergekommen waren, sodass man die für sehr wenig Geld kaufen oder mieten konnte. Mit dem Leben dort verhielt es sich ähnlich: der Wein und das Essen waren billig, man hatte stets frischen Fisch und schlussendlich konnte man ein sehr gesundes, gutes Leben dort führen. Es gab keinen Strom zu der Zeit auf der Insel und auch – wie übrigens bis heute nicht – keine Autos. Es war ein sehr einfaches, aber erfülltes Leben, was auf Hydra leben konnte.
Viele Künstler strömten auf die Insel, um dort zu leben, bald gefolgt von Superreichen wie den Onassis, Jackie Kennedy oder Prinzessin Margaret, die naturgemäß davon gehört hatten, dass Hydra ein trendiger Ort war, an dem sich viele angesagte Künstler trafen. Danach kamen langsam aber sich die Nachtklubs und die großen Anwesen, was wiederum die Grundstückpreise in die Höhe trieb.
Heute sieht Hydra viel besser aus als in den 60ern. Die heruntergekommenen Häuser sind alle verschwunden und ersetzt oder renoviert worden, aber das Leben dort ist teils unverhältnismäßig teuer geworden. Die Künstler haben die Insel schon längst verlassen und damit hat sich auch deren Gemeinschaft oder Clique auf der Insel aufgelöst.
Was können Sie uns über Ihr neues Projekt My Father and Me sagen? Um was handelt es sich dabei?
Mein Vater war Fotograf und das Victoria and Albert Museum in London haben ihm und seinem Werk eine große Ausstellung gewidmet. Dies gab mir den Anlass einen Film über ihn, seine Arbeit sowie seinen Einfluss auf mein Leben zu machen. Eigentlich ist daraus aber ein Porträt über das industrielle Großbritannien geworden angefangen von den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Wahl Margaret Thatchers zur Premierministerin und der Zeit des industriellen Zerfalls im Lande. Die Menschen und Städte, die mein Vater in seinen Bildern einfängt, haben in jenen Jahren einen großen Teil ihrer Identität verloren, ein radikaler Schnitt, der sich bis heute, bis zu Themen wie dem Brexit, zurückverfolgen lässt. Diese Bilder zeugen nicht nur von seiner Herkunft aus einer Arbeiterfamilie, sondern auch von seiner tiefen Verbundenheit zu diesem Land, seinen Menschen und deren Leben.
Zudem bot das Projekt mir die Chance, meine Familie aus einem ungewohnten, neuen Blickwinkel zu betrachten. Ich habe zum Beispiel lange Zeit nicht erfahren, dass meine Familie jüdischer Abstammung war, bis ich in meinen Zwanzigern meine Tante in York besuchte. Diese Erfahrungen konnte ich durch die Arbeit an My Father and Me neu betrachten.
Im Schneideprozess fiel mir dann auf, wie viele Dinge es gab innerhalb meiner Familie, mit denen ich mich bislang noch nie auseinandergesetzt hatte oder an die ich noch die gedacht hatte. Das war eine teils wunderbare, teils schmerzhafte Erfahrung für mich.
Vielen Dank für das tolle Gespräch.
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