Früher, da waren Mitsuko (Eri Kamataki) und Taeko (Kyôko Hinami) einmal beste Freundinnen gewesen. Doch das ist lange her, Kontakt hatten sie zuletzt keinen mehr. Eine Gemeinsamkeit führt sie dann aber doch wieder zusammen: Joe Murata (Kippei Shîna). Der Heiratsschwindler war früher hinter Taekos Familie her gewesen, nun bezirzt er die naive, unberührte Mitsuko. Aber was, wenn er mehr ist als ein Scharlatan? Schließlich treibt da gerade auch ein Serienmörder sein Unwesen. Könnte ja vielleicht er sein. Damit wiederum inspiriert sie Shin (Shinnosuke Mitsushima) und ein paar andere, einen Film über Murata und dessen Untaten zu drehen – wovon der bald Wind bekommt …
Auch wenn er nicht ganz den Output von Takashi Miike erreichte – zugegeben, eine nahezu unmögliche Aufgabe –, eine Zeit lang sah es so aus, als wäre Sion Sono überhaupt nicht mehr von der Kamera zu trennen. Vor allem 2015 war ein extrem volles Jahr mit gleich sechs Filmen, darunter das wunderbare Sci-Fi-Drama The Whispering Star und das grotesk-surreale Schulmädchen-Massaker Tag. Seither ist es deutlich ruhiger geworden um den extravaganten Filmemacher, der Anfang des Jahres einen Herzanfall erlitt. Was aber nicht bedeuten soll, dass sein aktuelles Werk The Forest of Love dadurch ruhiger wäre. Im Gegenteil, der schwer zu fassende Mix aus Krimi und Thriller ist ein typischer Sono durch und durch.
Die Ausnahme ist wieder da
Das ist erst einmal eine gute Nachricht. Dass er hier im Auftrag von Netflix unterwegs war, hat nichts an seiner Herangehensweise geändert oder Kompromisse eingefordert. Sono macht noch immer, was er will. Das war manchmal märchenhaft, teilweise unglaublich brutal oder auch tragisch. Auch die Qualität schwankte zuweilen, nicht alles, was der Ausnahmeregisseur so im Laufe der Jahre produziert hat, war tatsächlich gut. Zumindest aber waren die Werke durch die Bank weg eigenwillig, wenn nicht gar einzigartig. Ein Teil des Vergnügens bei jedem Film war die Neugierde, welche seltsamen Einfälle er wohl dieses Mal haben würde.
The Forest of Love erfüllt in dieser Hinsicht jede Erwartung und ist gleichzeitig doch ein wenig enttäuschend. Ursprünglich als Serie konzipiert, bevor dann ein zweieinhalbstündiger Film daraus wurde, greift der Titel so viele bekannte Elemente auf, dass man sich hier eher wie in einer Rückschau auf das Gesamtwerk von Sono fühlt. Das Spiel mit dem Film im Film erinnert an Antiporno, die Geschichte beginnt mit einem Schulmädchen-Massenselbstmord à la Suicide Circle, dazu gibt es herzhaft übertriebene Gewaltexzesse wie in Why Don’t You Play in Hell?, in dem ebenfalls ein Filmteam Teil eines Verbrechens wird und sich vor Blut triefend die Hände schmutzig machen muss.
Die ganze Sono-Welt in 2,5 Stunden
Für Netflix-Kunden wird das eher neu sein, mit dem üblichen Angebot des Streaminggiganten haben die absonderlichen Ausflüge von Sono nicht viel gemeinsam. Die könnte das hier aber überfordern, auch weil The Forest of Love ständig zwischen den Zeiten hin und her springt und auch die Grenzen von Film und Film-in-Film verschwimmen lässt. Man muss hier also schon einigermaßen dabei bleiben, um der Geschichte folgen zu können. Wobei das so oder so eine Herausforderung ist: Der Film mag, so behauptet es eine Einblendung, auf einem wahren Fall basieren. Realistisch ist deswegen aber nichts, vieles hier ist völlig over the top, woran die lustvoll übertrieben auftretenden Schauspieler ihren Anteil haben. So als wäre das alles ein großer Spaß, trotz der grausigen Szenen, die sich immer wieder in die Kuriosität hineinschmuggeln.
Teilweise ist The Forest of Love auch tatsächlich dieser große Spaß. Vor allem die Absurdität rund um das Filmteam, das irgendwann mit dem Thema gemeinsame Sache macht, ist für eine Reihe erheiternder Momente gut. Aber auch die Bilder machen immer wieder Lust, Teil dieses etwas anderen Trupps zu sein. Für die gesamte Laufzeit von 150 Minuten ist das aber irgendwie zu viel und gleichzeitig zu wenig. Zu selten wird es so verrückt, wie das Szenario hergeben würde, der Film scheint auch nie so recht zu wissen, worüber er eigentlich sprechen will, was durch die verschachtelte Erzählweise nur bedingt versteckt werden kann. Trotzdem ist es natürlich schön, wenn Sono sich zurückmeldet und uns an seiner verqueren Welt teilhaben lässt, die immer wieder auf Provokation aus ist. Denn auch wenn es hier deutliche Ermüdungserscheinungen gibt, der japanische Exot ist immer wieder für eine kleine Auszeit vom Alltag gut.
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