Tom Sommerlatte ist so etwas wie ein Fachmann für Geschichten über Geschwister – kein Wunder, hat er doch selbst elf davon. Und so wirft der ausgebildete Schauspieler bei seinen Regiearbeiten gerne den Blick auf ungewöhnliche Geschwisterkonstellationen. Bei seinem Debüt Im Sommer wohnt er unten erzählte er von zwei ungleichen Brüdern. In seinem zweiten Langfilm Bruder Schwester Herz (Kinostart: 10. Oktober 2019) steht ein Bruder-Schwester-Gespann im Mittelpunkt, das auch jenseits der 30 noch ein sehr enges Verhältnis hat, sich nun aber damit auseinandersetzen muss, dass ihre Wege sich langsam trennen. Wir haben Tom auf der Premiere beim Filmfest München 2019 getroffen und konnten ihm einige Fragen zu seinem neuen Film, aber auch eigenen familiären Erfahrungen stellen.
Du bist eigentlich Schauspieler. Warum bist du zur Regie gewechselt?
Ich konnte mich als Schauspieler nicht so entfalten, wie ich es mir gewünscht habe. Da war das Drehbuchschreiben eine Art Kompensierung für mich. Nachdem das erste Drehbuch geschrieben und produziert war, bin ich irgendwie da reingerutscht und habe auch angefangen Regie zu führen. Ich bin aber nicht nur Drehbuchautor und Regisseur, sondern auch weiterhin Schauspieler. Es ist also nicht so, dass ich das eine komplett abgehakt hätte.
Du hast aber nicht vor, auch mal einen Film mit dir als Schauspieler zu inszenieren? Das kommt ja des Öfteren vor, dass Schauspieler beides machen wollen.
Nein, ich habe mich dagegen entschieden, weil ich der Ansicht bin, dass Regisseur ein Fulltime Job ist. Die Hauptrolle zu übernehmen und Regie zu führen, das beißt sich für mich. Drehbuchautor und Regisseur sind auch zwei Fulltime Jobs, aber die kommen hintereinander weg. Insofern beißen die sich nicht.
Bruder Schwester Herz war dein zweiter Kinofilm als Regisseur. Wie waren deine Erfahrungen im Vergleich zum ersten?
Es war ein Film, der definitiv einen höheren Aufwand mit sich gebracht hat, weil viele Sachen viel riskanter waren. Wir hatten Tiere da, ganze Rinderherden, Pferde. Es war auch eine ganz andere Erfahrung, stressiger, aber nicht minder schön. Ich erinnere mich gern an den Dreh zurück. Natürlich hat man nach einem Regiedebüt, das auch ganz gut ankam, einen gewissen Druck. Aber von dem konnte ich mich eigentlich immer ganz gut befreien, weil ich mich nicht in eine Challenge begeben habe, dass der zweite besser werden muss als der erste. Ich wollte einfach nur den schönsten Film aus der Geschichte machen, den ich machen kann.
Wie bist du denn auf die Geschichte gekommen?
Der Ansatz der Geschichte ist, dass es eine Geschwisterbeziehung gibt, die einmalig ist. Wenn man sie als Geschwisterbeziehung zwischen zwei Kindern sieht, und das wird glaube ich jeder bestätigen können, der selbst Geschwister hat, dann ist sie jedoch normal. Dieses sehr Innige, Körperliche und diesen starken Zusammenhalt hat man als Kind. Doch irgendwann geht das mit der Entnabelung verloren, wenn man sich zu einem Individuum entwickelt, das unabhängig ist. Und ich wollte darstellen, wie zwei Geschwister sich das bewahrt haben, diese Naivität, das Spiel von Cowboy und Cowgirl. Wie das bestehen bleibt bis ins Alter von 35 Jahren, um dann zu gucken, was da für Probleme entstehen. Aber nicht nur die Probleme, sondern auch die Schönheit dieser Beziehung.
Ist eine solche Beziehung in dem Alter noch etwas Wünschenswertes?
Ich möchte bei dem Film nicht werten. Ich möchte nicht sagen: Das ist richtig, das ist falsch. Ich will dem Zuschauer diese Situation nur einmal vorstellen. Und dann soll er sich selbst ein Bild darüber machen, ob er das nun schön findet oder nicht. Was ich beobachtet habe, und das finde ich schade, ist, dass viele Geschwister nicht mehr zueinander stehen. Also sich nicht toll finden, nicht stolz aufeinander sind. Dass dieser Zusammenhalt in unserer Gesellschaft sehr bröckelt. Das resultiert natürlich auch daraus, dass wir in einer Wohlstandsgesellschaft leben und uns deswegen nicht mehr brauchen. Wir sind anders abgesichert. Das ist erst einmal natürlich gut. Aber eben auch schade, dass Geschwister sich dadurch nicht mehr unterstützen. Und das erhoffe ich mir schon von dem Film, dass die Leute danach ihre Geschwister wieder anrufen und sagen: Lasst uns treffen! Ich will dich sehen! Dass der Film ausstrahlt, dass Familie etwas Schönes ist.
Wie ist das bei deiner eigenen Familie?
Bei uns funktioniert das gut, weil wir einen sehr starken Zusammenhalt haben. Insofern ist das ein Pool, aus dem ich geschöpft habe, um zu sagen, dass das Elemente sind, die heute auch noch funktionieren können. Ich bin froh, in einer Familie groß geworden zu sein, wo das noch existiert. Andererseits, um das ganz klar zu sagen: Bruder Schwester Herz ist nicht autobiografisch.
Du kommst aus einer Großfamilie und hast selbst elf Geschwister. Das wird sich heute kaum einer mehr vorstellen können. Wie war das?
Ich war Nummer zehn und bin insofern in eine Normalität hineingewachsen, viele Geschwister zu haben. Es ist unheimlich schön. Ich denke mal, es liegt auch viel an der Organisation seitens der Eltern, ob das als schön empfunden wird oder nicht. Eltern spielen da immer eine sehr, sehr wichtige Rolle, weil sie einem vorgeben, wie man zueinander ist. Und meine Eltern haben das gut hingekriegt.
Wie oft seht ihr euch noch?
Oft. Wir haben verschiedene Feiern in unserem Kalender, von Weihnachten bis zu den Sommerferien. Oder auch mal eine Kommunion, wo wir noch mal alle zusammenkommen. Klar gibt es dann schon mal welche, die nicht können. Aber es sind immer sehr viele da.
Sind die dann komplett in Deutschland verstreut?
Nicht nur. Frankreich, Schweiz, Deutschland. Das ist dann nicht immer ganz leicht zu organisieren. Aber immerhin sind es drei aneinandergrenzende Länder.
Wie bist du eigentlich auf dieses Farm-Szenario gekommen? Bist du in so einem Umfeld aufgewachsen?
Nee, ich bin mehr in einem Wald aufgewachsen. Aber schon in der Natur, insofern gibt es da klar Parallelen. Ich wollte immer Cowboy werden als Kind. Das erste Mal, als ich auf einem Pferd saß, da muss ich so zehn gewesen sein, hatte ich aber eine derart krasse allergische Reaktion auf das Pferd, dass ich aufhören musste, Reitunterricht zu nehmen. Damit ist mein Traum eines Cowboys geplatzt. Denn ein Cowboy ohne Pferd ist natürlich wie eine Rose ohne Dorn. Der Film erlaubt es mir also ein wenig, diesen alten Traum noch einmal aufleben zu lassen.
Heute dann auch noch ein Landmensch?
Ich wohne in Berlin und mag die Stadt supergern. Aber ich brauche schon immer wieder die Flucht aufs Land, das stimmt.
Nachdem das mit dem Cowboy nicht geklappt hat, wie ging es danach weiter? Ab wann wolltest du zum Film?
Das kam relativ schnell. Meine Schwester Iris, die auch unsere Filme produziert – und ich sage bewusst unsere Filme, nicht meine, weil so ein Film dem ganzen Team gehört –, hat so zwei Jahre nach dem Ende meines Cowboytraums einen Kurzfilm gemacht und darin auch eine Rolle für mich gehabt. Und ich war recht angetan von dieser Arbeit und dieser Stimmung am Set und hatte danach immer das Bedürfnis, weiter etwas mit Film zu machen. Insofern wusste ich schon recht früh, dass ich zum Film wollte. Damals war das noch mehr die Schauspielerei, habe auch Schauspiel studiert und als Schauspieler gearbeitet. Dieses Driften zur Regie war dann aber wie gesagt unvorhergesehen.
Ist das ein Vorteil, mit Geschwistern zusammenzuarbeiten? So etwas kann ja auch mal heikel werden.
Das stimmt natürlich. Bei uns ist es jedoch ein Vorteil. Wir vertrauen uns. Wir können uns Sachen sagen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, dabei aber auch nicht beleidigend zu sein. Es geht nie darum, intern einen Machtkampf zu regeln. Es ist eine sehr innige und tolle Arbeit. Wahrscheinlich hilft uns auch ein bisschen, dass wir zwar beide am selben Film arbeiten, aber in völlig unterschiedlichen Domänen. Als Regisseur und Drehbuchautor hast du einen eigenen Bereich, als Produzent hast du einen eigenen Bereich. Bei den Stellen, wo sich beides überlappt, entsteht eine gute Reibung. Iris ist auch eine Produzentin, die sehr stark in die Stoffentwicklung involviert ist. Sie schreibt zwar nicht selbst, ist aber meine erste Kritikerin.
In dem Film bedeutet Familie auch Verpflichtung, weil von den Kindern erwartet wird, dass sie den Betrieb übernehmen. Hast du so etwas in deiner Familie erlebt?
Wir haben keinen Familienbetrieb, der fortgeführt werden muss. Da berichte ich also nicht aus eigenen Erfahrungen. Aber man kann sich in solche Geschichten sehr gut reinversetzen. Wir haben beispielsweise ein Ferienhaus. Und der Gedanke, dass dieses Ferienhaus einmal nicht mehr Familie Sommerlatte gehört, dieser Ort, an dem wir so viel Zeit miteinander verbracht haben und an den wir so viele Erinnerungen haben, der ist ja ähnlich zu der Aufgabe eines solchen Betriebs.
Eng verbunden mit der Frage nach dem Familienbetrieb ist die, dazubleiben oder wegzugehen. War das für dich ein Konflikt damals, von zu Hause wegzugehen, oder ist es leicht dir gefallen?
Es ist mir zum größten Teil leicht gefallen, unter anderem auch, weil neun Geschwister vor mir diesen Weg gegangen sind. Da war das schon eine Selbstverständlichkeit. Wir haben ja in einer Waldsiedlung bei Wiesbaden gelebt. Da war es schon gut, nach 18 Jahren der Geborgenheit mal Flügel zu bekommen und etwas anderes zu sehen. Meine erste Ankunft in einer Stadt, das war damals Hamburg, die habe ich aber schon als verstörend wahrgenommen. Ich habe zum ersten Mal Armut wahrgenommen, Schmutz, Gestank, Gewalt, Aggression, die unschönen Seiten einer Stadt. Darauf musste ich mich erst einmal einlassen.
Zusammenhalt scheint dir auch im Beruflichen sehr wichtig zu sein. Du arbeitest in Bruder Schwester Herz wieder viel mit Leuten zusammen, mit denen du vorher schon zusammengearbeitet hast. War das so beabsichtigt oder hat sich das ergeben?
Das war schon von Anfang an beabsichtigt. Oder anders gesagt: Wenn die Zusammenarbeit bei Im Sommer wohnt er unten irgendwie problematisch gewesen wäre, hätte natürlich kein zweites Mal mit diesen Leuten gearbeitet. Aber so, wie das damals gelaufen ist, wie harmonisch, wie sehr wir zusammengewachsen sind, da war schon klar, dass wir auch weiter zusammenarbeiten wollen. Diese Filmfamilie ist während des ersten Films entstanden und hat jetzt schon feste Wurzeln.
Hat es dann überhaupt noch ein Casting gegeben oder hast du ihnen gleich die Rollen gegeben?
Wir mussten ja ein Casting machen, um alle Rollen zu füllen. Wir haben nur drei Schauspieler und mussten 15 Rollen füllen. Die Rollen von Franz, Lilly und Chris mussten aber nicht gecastet werden, das stimmt. Die waren von vornherein gesetzt.
Ist es denn ein Vorteil, sich auf das zu verlassen, was funktioniert? Riskiert man nicht, es sich ein bisschen zu gemütlich zu machen?
Das musst du mich in zehn Jahren noch einmal fragen (lacht). Nach zwei Filmen ist das noch zu früh.
Was sind deine nächsten Projekte? Hast du schon was?
Ja, ich schreibe auch schon daran. Das soll der dritte Teil in meiner Geschwister-Trilogie werden nach Im Sommer wohnt er unten und Bruder Schwester Herz. Im ersten ging es um zwei Brüder, danach um Bruder-Schwester. Im dritten wird es um zwei Schwestern gehen.
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