Eigentlich waren sie immer beste Freundinnen gewesen – bis zu jener Geschichte mit den Veröffentlichungen sehr intimer Aufnahmen. Im Anschluss war das Verhältnis zwischen den beiden vergiftet. Und so fällt der Verdacht auch recht schnell auf Dolores (Lali Espósito), als die Leiche der jungen Frau gefunden wird. Sie hatte nicht nur ein Motiv, sondern wurde auch zuletzt mit ihr gesehen, kurz vor dem Mord. Zwei Jahre ist das nun her, die Gerichtsverhandlung nähert sich mit großen Schritten. Dabei soll nichts dem Zufall überlassen werden, wenn es nach den Eltern (Leonardo Sbaraglia, Inés Estévez) von Dolores geht. Jedes Wort und jede Geste muss vorher abgesprochen und geübt werden, was der Angeklagten bald deutlich zusetzt …
Auch wenn der Name kein einziges Mal fällt, zu Beginn auch der obligatorische Hinweis kommt, dass hier alles und jeder völlig der Fantasie entsprungen ist, so ist doch recht eindeutig, woher Verurteilt – Jeder hat etwas zu verbergen seine Inspirationen bezogen hat. Schließlich stand der Fall um die US-Studentin Amanda Knox, die in Italien die mit ihr befreundete Britin Meredith Kercher ermordet haben sollte, weltweit in den Schlagzeilen. Dabei war es nicht allein der Fall an sich, der so viel Aufmerksamkeit auf sich zog, sondern das ständige hin und her vor Gericht, wo Knox mehrfach für schuldig gesprochen, am Ende aber doch freigesprochen wurde. Letzte Zweifel bleiben in so einer Situation aber natürlich immer, zumal der Täter nie gefunden wurde.
Hmm, aber stimmt das jetzt auch?
Ganz ähnlich geht es auch in Verurteilt zu. Regisseur und Co-Autor Gonzalo Tobal lässt den gesamten Film hindurch Zweifel daran, ob Dolores schuldig ist und was genau vorgefallen ist. Immer wieder gibt es Indizien, für die eine wie die andere Richtung, dazu noch jede Menge Widersprüche, in die sich unter anderem die Angeklagte verheddert. Das hört sich nach einem Fest für Hobbyspürnasen an, ist letztendlich aber das Gegenteil. Der Film gibt keine eindeutige Antwort auf die vielen Fragen, die das Publikum unweigerlich mitbringen wird, sondern belässt es im Vagen. Mehr noch, Tobal hat überhaupt kein Interesse an einer Aufklärung, hat hier keinen klassischen Krimi abgeliefert.
Stattdessen ist Verurteilt, das auf den Filmfestspielen von Venedig 2018 Premiere hatte, in erster Linie das Porträt einer Angeklagten. Was macht das mit einem Menschen, wenn ihm vorgeworfen wird, die beste Freundin ermordet zu haben? Welche Auswirkungen hat der gewaltige Medienrummel, der hier veranstaltet wird, auf eine junge Frau, der nun plötzlich ihr eigenes Leben nicht mehr gehört? Das ist durchaus auch als Kritik an der Sensationsgier der Leute zu verstehen, für die das mit der Wahrheitssuche gar nicht so wichtig ist. Viel mehr kommt es ihnen auf den Nervenkitzel an. Den Skandal und den Schockfaktor, dass jemand zu so einer schändlichen Tat fähig sein soll.
Wahrheit ist nicht Wahrheit
Das könnte manchen zu langweilig sein, die hier einen reinrassigen Genrefilm erwarten. Verurteilt ist dann doch einem Drama meist näher als einem Thriller. Das soll jedoch nicht bedeuten, dass das hier völlig ohne Spannung wäre. Selbst wenn sich der Film vor einer eindeutigen Aufklärung drückt, der Weg dorthin ist interessant, zumal sich Tobal viel Zeit nimmt, um die Vorbereitungen auf die Gerichtsverhandlung und die dazugehörigen Strategien zu erläutern. Das schwankt zwischen zynisch und absurd, ist einerseits unterhaltsam, lässt einem aber auch die Nackenhaare aufstellen. Da wird manipuliert und gefeilt, bis am Ende weder von der Geschichte noch dem Menschen etwas Nennenswertes übrigbleibt.
Ein weiteres Argument, warum man dem südamerikanischen Film eine Chance geben sollte, ist die Hauptdarstellerin: Lali Espósito gelingt es gut, die Ambivalenz der Figur auszudrücken. Mal wirkt Dolores wie das personifizierte Opfer, Mitleidsbonus inklusive. Dann wiederum ist sie überaus suspekt, so als ob sie alle anderen – und damit das Publikum – an der Nase herumführt. Ganz verhindern kann die Argentinierin zwar nicht, dass Verurteilt manchmal mehr Geduld einfordert als unbedingt notwendig, wenn sich die Geschichte mal wieder nur im Kreis dreht. Aber es gibt hier doch genug zu entdecken und zu beobachten, damit man in dem Gerichtsfilm Platz nimmt und der Dinge harrt, die da kommen – oder eben nicht kommen.
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