Es war ein Abend wie jeder andere für den Barkeeper Will (Armie Hammer), so schien es zumindest. Er schenkt seinen Stammgästen fleißig ein, darunter seiner nicht ganz so heimlichen großen Liebe Alicia (Zazie Beetz), die mit ihrem neuen Freund Jeffrey (Karl Glusman) auftaucht. Das geht eine ganze Weile gut, bis es zu einer heftigen Auseinandersetzung zweier Gäste kommt. Danach ist die Stimmung im Eimer, viele verlassen fluchtartig die Bar. Dabei muss eine der Jugendlichen ihr Handy verloren haben, wie Will feststellt. Also erst einmal mit nach Hause nehmen, zu sich und seiner Freundin Carrie (Dakota Johnson). Schon bald wird er diese Entscheidung aber bereuen, als er seltsame Nachrichten erhält und verstörende Bilder auf dem Handy entdeckt …
Und der Horrormarathon bei Netflix geht weiter: Nachdem letzte Woche mit La Influencia – Böser Einfluss schon ein bisschen vorgesorgt wurde, gehen diese Woche mit Eli und Wounds gleich zwei neue Titel an den Start. Wobei neu es bei Letzterem nicht ganz trifft. Schließlich feierte der seine Premiere bereits beim Sundance Film Festival Anfang 2019, wurde später auch in Cannes gezeigt. Bei beiden Auftritten Fällen war die Resonanz jedoch bescheiden, da wurden viele Verrisse geschrieben, insgesamt pendelte sich das Echo ungefähr bei Mittelmaß ein. Richtig viel Lob erntete der Film so oder so nicht.
Die Bürde des Zweitlings
Wobei die verheerenden Reaktionen sicher zumindest teilweise auch auf die vorherige Erwartungshaltung zurückzuführen ist. Nicht nur, dass Wounds ein prominentes Ensemble vorweisen kann. Es handelt sich vor allem um den zweiten Spielfilm von Babak Anvari. Und der hatte drei Jahre zuvor mit Under the Shadow einen im Horror-Umfeld selten gesehenen Kritikerliebling geschaffen, der auf zahlreichen Festivals lief und überall Höchstwertungen erhielt. Der Clou damals: Der iranische Regisseur und Drehbuchautor verband eine klassische Horrorgeschichte mit einem Zeit- und Länderporträt, wenn er seine Heimat in den 80ern vorstellte, den Schrecken des Ersten Golfkriegs mit archaischen Dämonen verband.
Dämonen gibt es auch in Wounds. Anders als in Anvaris gefeiertem Erstling lassen die sich hier aber doch recht viel Zeit. Genauer wird hier länger nicht klar, worum der Film denn überhaupt gehen soll. Dass irgendetwas Schlimmes passieren wird, das wird zwar schon früh mitgeteilt, beispielsweise durch die unheimliche Musik von Komeil S. Hosseini, die mal im Hintergrund vor sich hin wabert, gerne aber auch mal etwas aufdringlicher wird. Und noch bevor das Okkulte um sich greift, wird mit einer angespannten Atmosphäre gearbeitet. In der Einstiegsszene in der Bar, wo das Unglück seinen Anfang nimmt, wartet man nur auf den großen Knall. Das kammerspielartige Setting ist so vollgestopft mit unterdrückten Gefühlen, dass nur irgendwo einer den ersten Schritt machen muss, um die Hölle heraufzubeschwören.
Verloren im Horror
Nach diesem vielversprechenden Einstieg verliert sich die Adaption von Nathan Ballingruds Novelle The Visible Filth aber zunehmend in einem Netz aus Andeutungen und Elementen. Mal ein bisschen Body Horror hier, dort dann Beziehungsdrama, zwischendrin die Frage, was genau die Jugendlichen eigentlich getrieben haben. Wounds verfolgt aber keine dieser Spuren konsequent. Es gibt auch keine Entwicklung der Geschichte. Man darf sogar darüber streiten, ob es überhaupt eine Geschichte gibt. Das einzige, was konstant bleibt, ist dass Will im Mittelpunkt steht und von Minute zu Minute unausstehlicher wird. Anfangs noch als sympathischer Ruhepol vorgestellt, was dank des gutaussehenden Charms von Armie Hammer (Call Me by Your Name) immer glaubwürdig ist, wird er zunehmend zum Kotzbrocken, dem man – anders als eben bei Under the Shadow – gar nicht unbedingt die Daumen drücken mag.
Das macht es natürlich schwierig, umso mehr wenn so manches hier keinen Sinn ergibt. Die offensichtlichste Ungereimtheit – warum bringt Will das Handy nicht zur Polizei? – wird nie befriedigend erklärt. Auch andere Stellen erfordern schon viel Gutgläubigkeit vom Publikum. Und doch ist Wounds nicht annähernd so schlecht, wie manche Kritiker ihn machen wollen. Nicht annähernd so schlecht auch wie die Masse an Horrorfilmen, die einem immer wieder zugemutet wird. Selbst wenn vieles hier nicht wirklich passt oder schlecht aufbereitet wird, Anvari zeigt erneut sein großes Talent für unheimliche Momente und eine grundsätzlich beklemmende Atmosphäre. Hinzu kommt eine dicke Portion Wahnsinn, so als hätte der iranische Filmemacher den Mittelweg zwischen Cronenberg und Lovecraft gesucht. Der Gipfel ist das verstörende Ende, welches für so manchen Leerlauf vorher entschädigt.
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