Für Bruno (Vincent Cassel) gibt es kein Problem, das nicht lösbar ist, mit unermüdlichem Eifer setzen er und Malik (Reda Kateb) sich für Jugendliche mit Autismus ein. Einfach ist der Job nicht, zumal die Rahmenbedingungen äußerst bescheiden sind: Das Geld ist knapp, die Unterkünfte sind jetzt schon überfüllt. Dabei kümmern sich die beiden vor allem um die Härtefälle, mit denen die anderen überfordert sind und die sonst nirgends unterkommen würden. Doch so sehr Bruno sich auch bemüht, jetzt könnte es richtig Ärger geben. Die Gesundheitsbehörde lässt seine Arbeit überprüfen und droht damit, die private, nicht genehmigte Einrichtung, die abseits der Regularien vor sich hinwerkelt, schließen zu lassen …
Acht Jahre ist es mittlerweile her, dass Olivier Nakache und Éric Toledano mit Ziemlich beste Freunde über die Freundschaft zwischen einem Kriminellen und einem wohlhabenden Querschnittsgelähmten einen der größten Überraschungshits dieses Jahrzehnts schafften. 19 Millionen Zuschauer in Frankreich, 9 Millionen hierzulande – solche Zahlen erreichte in den 2010ern niemand. Kein Wunder also, dass die beiden bis heute auf diesen Film reduziert werden, vergleichbare Erfolge gelangen ihnen im Anschluss nicht mehr. Dabei haben auch die späteren Werke ihre Qualitäten, da es das Regie- und Drehbuchduo wie kaum sonst jemand schafft, sozial wichtige Themen massentauglich zu gestalten und sich wieder und wieder für einen Ausgleich und Gemeinschaftlichkeit einzusetzen. In Heute bin ich Samba (2014) nahmen sie sich des Themas Immigration an, in Das Leben ist ein Fest (2017) war es eine Hochzeitsgesellschaft, welche Risse in der Gesellschaft aufzeigte.
Jetzt wird es hart …
Auch Alles außer gewöhnlich, der mittlerweile siebte Film des eingespielten Duos, behandelt ein ernstes Thema, mit dem sich die wenigsten sonst auseinandersetzen würden: Autismus. Zwar wird heute sehr viel offener damit umgegangen als früher, es wird weniger tabuisiert. Doch was in der Theorie verbreitet ist, muss es deshalb im Alltag nicht sein. Je weiter ein Mensch von der Norm entfernt ist oder von dem, was wir als Norm bezeichnen wollen, umso stärker wird er oft ausgegrenzt, auch heute noch. Das Erschreckende dabei: Die Ausgrenzung erfolgt nicht nur im Privaten, wo ein solches Verhalten nicht wirklich überrascht. Stattdessen zeigen Nakache und Toledano auf, dass der Staat selbst nichts mit ihnen zu tun haben will, zumindest den Härtefällen, die viel Zuwendung und Geld erfordern.
Man merkt Alles außer gewöhnlich auch zu jeder Zeit an, wie sehr es sich um ein Herzensprojekt handelt. Tatsächlich basiert der Film auf wahren Vorbildern, welche die beiden aufgrund ihres eigenen sozialen Engagements kennen. Dagegen ist natürlich nichts zu sagen. Wenn mit filmischen Mitteln die Massen auf Missstände aufmerksam gemacht werden, dann ist das eigentlich positiv. Allerdings führt dieser Wille zur Aufrüttelung manchmal dazu, dass etwas die Pferde mit den beiden durchgehen. Schon der Einstieg ist auf hoch dramatisch gestimmt, später gibt es eine weitere Szene, die für Nervenkitzel sorgen soll, dabei aber letztendlich unnötig ist. Sie passt auch nicht so recht zum Rest des Films.
Das Drama des Alltags
Eigentlich ist Alles außer gewöhnlich, Abschlussfilm der Filmfestspiele von Cannes 2019, nämlich ein recht zurückgenommener Film. Anstatt große Momente aufzuzeigen, beschäftigen sich Nakache und Toledano lieber mit dem Alltag der beiden Protagonisten. Auffallend oft wird dabei zur Wackelkamera gegriffen, ein beliebtes Inszenierungsmittel, um das Gefühl von Authentizität zu erhöhen. Am stärksten ist der Film dann auch, wenn ganz unaufgeregt vom schwierigen Miteinander erzählt wird. Wenn das Publikum ein Gespür dafür bekommt, was es heißt, einen Menschen mit Autismus in seinem Umfeld zu haben oder sich um einen solchen zu kümmern. Die kleinen Erfolge und Hoffnungsschimmer, wenn dank intensiver Zuwendung – jeder Jugendlicher bekommt eine 1:1 Betreuung – Fortschritte erkennbar sind. Der Frust, wenn diese Fortschritte ausbleiben oder es sogar zu Rückschlägen kommen, oft aus unersichtlichen Gründen.
Dass der Humor dabei gerade im Vergleich zu den vorangegangenen Werken der beiden recht kurz kommt, ist dabei zu verkraften: Man sollte hier lieber mit der Erwartung eines Dramas anstatt der einer Komödie hineingehen. Intensive Szenen gibt es einige, unterhaltsame eher wenige. Gelegentlich versucht das Duo das zwar, gerade auch mit den kläglichen Date-Unternehmungen von Bruno. Tatsächlich lustig sind die aber nicht. Sie sind eher Teil eines Problems, welche den Film plagen: die Figuren. Dass die autistischen Jugendlichen keine besonders ausgeprägten Persönlichkeiten haben, sondern auf ihre Ticks reduziert werden, das ist noch verständlich. Aber auch Bruno und Malik bleiben ohne großes Profil. Bruno wird zu einem etwas einseitigen Helden erklärt, der nur für die Arbeit lebt und alles für seine Schützlinge tun würde. Nobel ist das sicher, spannend nicht wirklich. Allzu große Ansprüche an den Tiefgang sollte man bei der Tragikomödie daher besser daheim lassen: Alles außer gewöhnlich will in erster Linie den Finger in die Wunde legen und bewusst machen, der Rest ist nur Mittel zum Zweck. Das tut der Film dafür ausgesprochen effektiv, knapp zwei Stunden später ist zwar von einer wirklichen Lösung nichts zu sehen. Die Überzeugung, dass etwas getan werden muss, die dürfte bei den meisten aber in der Zeit herangereift sein.
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