Der Schock ist groß bei der Klasse, als diese erfährt, dass ihr Mitschüler Frieder (Max von der Groeben) sich das Leben nehmen wollte und nun in einer psychiatrischen Anstalt ist. Vor allem Höppner (Damian Hardung) lässt dies keine Ruhe. Wer soll denn jetzt seine Hausaufgaben machen und dafür sorgen, dass er durchs Abi kommt? Doch zum Glück gibt es eine Alternative: Die beiden gründen zusammen eine WG, der sich Höppners Freundin Vera (Luna Wendler) sowie die Außenseiterin Cäcilia (Devrim Lingnau) anschließen. Aber auch andere kommen vorbei, beispielsweise die Pyromanin Pauline (Ada Philine Stappenbeck), die Frieder aus der Anstalt kennt. Nach anfänglichen Problemen klappt das Zusammenleben überraschend gut. Die Sorgen werden dadurch jedoch nicht wirklich weniger …
In den letzten Jahren hat sich Neele Leana Vollmar als eine der deutschen Filmemacherinnen schlechthin etabliert, wenn es darum ging, Kinderbücher für die große Leinwand umzusetzen. Ob nun ihre Werke aus der Reihe Rico, Oskar und … oder das verspielte Mein Lotta-Leben – Alles Bingo mit Flamingo!, der Regisseurin und Drehbuchautorin gelangen sympathisch Filme, deren Charme einem auch als erwachsener Zuschauer nicht verborgen blieb. Mit Auerhaus springt sie in der Altersskala nicht nur ein paar Jahre nach oben. Auch vom Ton her unterscheidet sich die Adaption von Bov Bjergs gleichnamigen Roman deutlich von ihren letzten Arbeiten.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll …
Mit einem Selbstmord geschieht die Geschichte los. Und auch wenn das Thema später nur gelegentlich aufgegriffen wird, es liegt wie ein dunkler Schatten über der jugendlichen Wohngemeinschaft. Tatsächlich ist die Sprachlosigkeit, mit der die übrigen Mitbewohner und Mitbewohnerinnen Frieders Tendenz begegnen, ein Grund für die unheilvolle Atmosphäre: Keiner weiß, wie er damit umgehen soll, immer schwingt die Angst mit, dass der Jugendliche einen nächsten Anlauf startet und keiner es rechtzeitig bemerkt. Zumal dieser auch klipp und klar sagt, dass ihn niemand in diesem Moment wird aufhalten können, sofern er kommt. Was aber macht es mit einem, in einer ständigen Angst leben zu müssen?
Doch Auerhaus ist eben keine konzentrierte Auseinandersetzung mit dem Thema Selbstmord. Vielmehr erzählt das Drama von einer Gruppe von Jugendlichen, die allesamt irgendwo im Leben verloren wirken. Viele wollen weg. Nicht, weil sie ein Ziel vor Augen hätten, einen tatsächlichen Plan. Sie halten es nur nicht mehr aus in der schwäbischen Provinz, in der echte Freude einem gräulichen Weiter so gewichen ist, der Ritual des gemeinsamen Eisessengehens schon die Spitze des Ausbruchs darstellt. Es ist nicht einmal so, dass das Quartett ein so furchtbares Leben führt. Nicht einmal dafür reicht es. Also macht man sich selbst das Leben schwer, lässt Nähe nicht zu, redet nicht genug, fackelt im Zweifel lieber alles ab, damit überhaupt etwas geschieht.
Gefangen mitten im Leben
Das erinnert an andere Beispiele kollektiver Orientierungslosigkeit junger Menschen, etwa das russische Acid vor einigen Wochen. Dessen Kälte erreicht Auerhaus jedoch nicht, zwischen RAF und Biederkeit der frühen 80er gefangen ist die Tristesse hier weniger greifbar, weniger plakativ auch. Tatsächlich ist das Drama oft von einer bemerkenswerten Beiläufigkeit. Kleinere Ausschläge auf der Intensitätsskala gibt es zwar schon, beispielsweise wenn es zwischen Höppner und Vera kriselt, was im Laufe der Zeit immer häufiger vorkommt. Aber es wird nie genug sein für ein Publikum, das sich angesichts des Themas große emotionale Ausbrüche erwartet. Bewegend ist die Geschichte aber durchaus, hat Momente einer schönen Gemeinschaftlichkeit, wenn das Haus zu einer Trutzburg inmitten der kleinbürgerlichen Konformität wird. Aber auch Momente, die sich tief einschneiden, weh tun, wenn man selbst hilflos davor sitzt.
Aufregend ist das nicht unbedingt, zudem nicht immer bis ins Detail klar zu durchschauen. Aber: Auerhaus ist ein sehenswerter Film, warmherzig, manchmal witzig, charmant, getragen von einer Reihe starker Schauspielleistungen. Überraschend dürfte für viele besonders der Auftritt von Max von der Groeben sein, der nach seiner bekannten Rolle als Schulidiot in Fack ju Göhte hier tatsächlich mal eine komplexe Figur spielen darf, unscheinbar, etwas rätselhaft und ausgebrannt. Andere haben mit gewöhnlicheren Jugendproblemen zu kämpfen, gerade einer unerfüllten Liebe oder der Unsicherheit, wer sie sein wollen. Vollmar nähert sich diesen Coming-of-Age-Themen mit ebenso viel Verständnis an wie bei ihren Kinderfilmen, auch wenn einem hier die lebensbejahenden Aufmunterungen vorenthalten bleiben. Stattdessen ist das Drama bis zuletzt ambivalent, lässt Glück und Unglück nie zu weit auseinander warten, ist Geschichte eines Aufwachsens und Loslassens, Porträt einer Ära wie auch eines Alters, das weg will, woanders, egal, und doch nur schwer einen Fuß vor den anderen bekommt.
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