Früher einmal, da war Bernadette Fox (Cate Blanchett) eine beachtete, mutige Architektin in Los Angeles. Doch davon ist heute nicht mehr viel übrig. Von ihrem Beruf hat sie sich schon vor ewigen Zeiten losgesagt, mit ihrem Mann Elgie (Billy Crudup) und Tochter Bee (Emma Nelson) lebt sie ein komfortables Leben in Seattle. Tatsächlich glücklich ist sie aber nicht. So kann sie mit der Stadt kaum etwas anfangen, mit Nachbarn wie Audrey (Kristen Wiig) noch weniger. Eigentlich, wenn es nach ihr ginge, sie müsste überhaupt niemanden sehen. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse so sehr, dass auch dem letzten klar wird: So geht es nicht mehr weiter …
Zwanzig Filme hat Richard Linklater inzwischen schon gedreht, seit seinem Debüt It’s Impossible to Learn to Plow by Reading Books im Jahr 1988. Und auch wenn es innerhalb eines derart umfangreichen Werks zwangsläufig zu größeren Unterschieden kommt, am besten war der Regisseur fast immer dann, wenn er sich von herkömmlichen Plot-Strukturen löste und sich ganz auf seine Figuren sowie deren Leben konzentrierte. Filme wie Dazed and Confused, die Before-Trilogie oder zuletzt auch Boyhood und Everybody Wants Some!!, die sich in einer detailverliebten Alltäglichkeit verloren, ohne auf Spannungsbögen oder ähnliches Rücksicht nehmen zu müssen.
Hmm, das ist irgendwie schade
Insofern war er eigentlich die perfekte Wahl, um den Roman Wo steckst du, Bernadette? für die große Leinwand zu adaptieren. Autorin Maria Semple schilderte dort das Leben einer psychisch angeknacksten Frau, die nach dem Rückzug von ihrer Berufung als Architektin mit den Jahren unglücklicher wurde, ohne das genau zu merken. Diese Figur auch noch von Cate Blanchett spielen zu lassen, die für ihre Darstellung als Neurotikerin in Blue Jasmine einen Oscar erhielt, das klang schon fast zu perfekt. Umso überraschter dürften daher die meisten gewesen sein, als die Kritiken zu Bernadette mehr als verhalten ausfielen. Umso überraschter dürfte man aber auch von dem Film an sich sein.
Zumindest zu Beginn hat man dabei durchaus den Eindruck, einen weiteren Höhepunkt in Linklaters filmischen Schaffen vor sich zu haben. Wenn Bernadette sich fast schon in Rage redet, während sie durch ein Haus stapft, von dem man kaum sagen kann, ob es gerade aufgebaut oder abgerissen wird, dann wird spürbar, wie verloren diese Frau in ihrem Leben ist. Dass mit ihr etwas nicht stimmt, das ist kein Geheimnis, fast jeder hält sie irgendwie für verrückt, zumindest aber für sozial gestört. Das wiederum lässt sie an sich abprallen, schießt verbal gern zurück oder zeigt anderweitig, wie wenig sie von anderen Menschen hält. Sympathisch ist das nicht, sie ähnelt mehr dem Film-Stereotyp „grimmiger alter Mann, der von einem jungen Menschen wieder heil und gut gemacht wird“. Nur dass Bernadette eine Frau ist, gar nicht so schrecklich alt und auch gar nicht so grimmig, so lange sie Zeit bei ihrer Familie verbringt.
Wo willst du hin, Film?
Das ist unterhaltsam, mehr komisch als traurig, so wie auch später der Ton so humorvoll ist, dass man sich gar nicht so sicher ist: Leidet Bernadette überhaupt? Oder haben wir einfach nur die Vorstellung, dass sie leiden sollte? Und das ist nicht die einzige Irritation, die im Laufe des Films auftritt. Die plötzlichen Stimmungswechsel etwa, das sehr eilige Ende, das etwas gezwungen auf Wohlfühlen umgedeutet wird. An diesen Stellen lässt Bernadette ausgerechnet das vermissen, was Linklater so auszeichnet: die Seelenruhe, mit der er Details ausarbeitet, ohne sich um das Publikum da draußen kümmern zu müssen. Ein wenig hat man da den Eindruck, der Regisseur wollte nach einigen Jahren mit höchst seltenem Erfolg endlich mal wieder eine größere zahlende Kundschaft anlocken. Vielleicht war es aber auch der Druck von außen, der ihn dann doch dazu verleitete, sich stärker an Konventionen zu halten
Sollte das der Fall gewesen sein, so ist der Plan kaum aufgegangen. Bernadette enttäuschte ebenfalls an den Kinokassen, dürfte zudem bei der kommenden Award Season kaum eine Rolle spielen. Dabei gibt es durchaus einige schöne Momente. Wenn etwa Blanchett und Wiig zusammen auftreten, dann zeigen sowohl die Gefechte wie auch das Aufblitzen eines Verständnisses Wirkung. An anderen Stellen fliegen ebenfalls schön die Fetzen. Und eine entsprechende Neigung vorausgesetzt, sind die intendierten Tränenmomente gleichermaßen nett. Nur reicht das nicht, um die hohen Erwartungen, die man im Vorfeld an den Film haben durfte, zu erfüllen. Die Geschichte um eine Frau in der Krise ist zu unentschlossen zwischen Mut und Konvention. Von den Mystery-Elementen, die das Buch hatte und die der Originaltitel Where’d You Go, Bernadette andeuten, ist ohnehin kaum was zu merken. Wo Semple noch von einer Spurensuche erzählte, gibt es hier eine unmotivierte Antwort auf eine Frage, für die gar nicht genügend Zeit war.
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