Die Welt ist richtig kompliziert geworden. Auf der einen Seite sind wir vernetzt wie nie, bekommen aus allen Ecken und Enden mit, was vor sich geht. Doch verständlich ist das ja nicht unbedingt, was wir da hören und sehen. Das ruft bei vielen Abwehrreaktionen hervor; gerade weil das Fremde so nah ist, manchmal sogar nebenan wohnt, ist das Misstrauen groß, wird als Bedrohung wahrgenommen, die mal mehr mal weniger offen wieder weg soll – egal wie. Aber es geht auch anders, wie Die Götter von Molenbeek zeigt. Dort lernen wir die belgische Gemeine kennen, deren Bevölkerung zu einem Großteil aus Einwanderern besteht und die als Herkunftsort islamistischer Extremisten in den Nachrichten stand.
Doch nicht die stehen in dem Dokumentarfilm im Vordergrund. Stattdessen folgt Regisseurin Reetta Huhtanen einer Reihe von Kindern, die in eben dieser Gemeinde wohnen, dort aufwachsen und versuchen, sich einen Reim auf alles zu machen. Eigentlich hatte die Finnin nur einen Film über ihren Neffen Aatos drehen wollen, eines dieser Kinder. Aatos ist selbst das Ergebnis einer Internationalisierung, wenn er als Sohn einer Finnin und eines Chilenen in dem zweisprachigen Belgien aufwächst, Tür an Tür mit Menschen aus Marokko oder anderen fernen Ländern. Geschadet haben ihm die vielen Einflüsse aber nicht, stattdessen nimmt er diese mit der natürlichen Neugierde eines Kindes auf.
Ich glaube … oder nicht?
Die Götter von Molenbeek erzählt dabei vor allem von der Freundschaft zwischen Aatos und dem Nachbarsjungen Amine, der aus einer muslimischen Familie kommt. Später wird sich noch Flo dazugesellen, das Mädchen in der Runde, trotz des jungen Alters schon mit einer ausgeprägten Persönlichkeit ausgestattet. Huhtanen beobachtet diese drei in ihrem Alltag, schaut ihnen beim Spielen zu, hört vor allem zu, wenn sie sich über die großen Themen unterhalten. Eines davon: Religion. So richtig viel verstehen sie davon noch nicht, wie man es bei Sechsjährigen auch erwarten kann. Das hindert sie aber nicht daran, das aufgeschnappte Halbwissen weiterzugeben, sich auszutauschen und selbst ein wenig zu grübeln.
Davon sollte man sich natürlich nicht wirklich viel Tiefe erwarten, eine Lösung auf die Probleme der Welt haben die drei kaum. Sie sind sich ja nicht einmal sicher, was die Probleme sind. Dabei drängt sich eines auf: Während der Dreharbeiten ereigneten sich die Anschläge, die zumindest teilweise auf Bewohner Molenbeeks zurückführen lassen. Der Dokumentarfilm, der bis dahin als rein persönliches Werk angedacht war, erhält dadurch eine politische und gesellschaftliche Dimension. Was macht es mit den Menschen vor Ort, wenn deine Heimat plötzlich als Terrorzelle in den Nachrichten steht? Wie gehst du damit um, wenn andere deinen Glauben für Mord missbrauchen?
Der kindliche Blick auf den Schrecken
Die Götter von Molenbeek fängt diese Stimmungen und Überlegungen ein, behält dabei aber die Perspektive der Kinder bei. Huhtanen diskutiert nicht mit den Erwachsenen, die da auf der Straße stehen und gegen Gewalt und Diskriminierung demonstrieren. Sie will vielmehr wissen, inwiefern diese Ereignisse ihre jungen Protagonist*innen beeinflussen. Da werden Fragen gestellt, versucht, zu verstehen, warum Menschen da Schilder hoch halten. Diese Realität wirkt hinein in das Leben der drei, selbst wenn sie noch nicht umreißen können, was das alles bedeutet. Aber eines ändert sich nicht: die Freundschaft zueinander.
Das ist dann auch der Punkt, der so ziemlich jeden ansprechen wird da draußen im Publikum, unabhängig von der Nationalität, der Sprache, des Glaubens, das enge Verhältnis untereinander. Eine Freundschaft, die sich nicht an das hält, was andere ihr vorgeben wollen. Das kann lustig sein, etwa wenn Aatos im Gewand eines Gottes durch die Gegend tollt, traurig, wenn sich die Wege der beiden trennen. Oder eben schön: Der Beitrag vom DOK.fest München 2019 zeigt auf, dass die von Menschen gebauten Gräben überwunden werden können und ist eine warmherzige, rührende Aufforderung, mit Neugierde durch das Leben zu laufen und Sachen, die wir nicht verstehen, nicht zwangsweise ablehnen zu müssen. Wer will da noch sagen, dass man von Kindern nichts lernen kann?
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