Die Kinder der Toten
© Ulrich Seidl Produktion

Die Kinder der Toten

Die Kinder der Toten
„Die Kinder der Toten“ // Deutschland-Start: 14. November 2019 (Kino)

In der Pension Alpenrose ist die Welt noch in Ordnung. Gut, das Schnitzel ist halb roh, weswegen es auch nur zur Hälfte gegessen wurde, bevor es zurück in die Küche ging. Außerdem tauchen da auf einmal Dichter aus Syrien auf, die zu doof sind, das Schild zu lesen. Aber die wird man schnell los, wie alle Fremden, die Leute aus der Steiermark wissen, wie das geht. Schwieriger wird es da schon mit den ganzen Untoten, die auf einmal über die Gegend herfallen, beschworen durch den Kinozauber der Vergangenheit. Dabei haben die Leute echt genug mit den Lebenden zu tun, wahlweise auch mit den richtigen Toten. Wobei die Unterscheidung da manchmal schwer fällt …

Dem deutschen Kino wird ja gerne mal vorgeworfen, es sei zu gleichförmig und mutlos, das Ergebnis bräsiger Förderungsgremien anstatt individueller Entfaltung. Wie viel radikaler das alles geht, das zeigt der Blick zu unseren südlichen Nachbarn nach Österreich, wo Regisseure wie Michael Haneke (Der siebente Kontinent) und Ulrich Seidl (Paradies: Hoffnung) kontinuierlich das Publikum herausfordern. Aus der Produktionsstätte des Letzteren stammt auch Die Kinder der Toten, welches zwar wie für das Seidl-Umfeld typisch nahe an der Zumutung ist. Aber eben auch eine Bereicherung, denn etwas Vergleichbares bekommt man hierzulande nicht zu sehen. Sofern man überhaupt einen passenden Vergleich findet.

Eine sprachlose Adaption nach Hörensagen
Der Titel selbst könnte dem einen oder anderen vielleicht schon bekannt vorkommen, wurde er doch dem gleichnamigen Roman von Elfriede Jelinek entnommen, eine gespenstische Auseinandersetzung mit einem Österreich, das sich vor seinen eigenen Toten und Bluttaten drückt. Kelly Copper und Pavol Liska nahmen sich der schwierigen Aufgabe an, dieses Werk ins Filmische zu übersetzen. Wobei sie sich nur wenig mit der konkreten Vorlage aufhielten. Genauer haben die beiden das Buch selbst nicht gelesen, kennen es nur vom Hörensagen und Zusammenfassungen. Die Kinder der Toten ist also eher das Ergebnis einer Inspiration, was die eigenwillige Interpretation verständlich, aber nicht minder seltsam macht.

Genauer ist der Film, der auf der Berlinale 2019 Weltpremiere hatte, eine Art Mischung aus Heimatfilm und klassischem Horror. Darin kommt einem einiges bekannt vor, anderes weniger. Ein lebensmüder Förster streift durch die Wälder, um seine toten Söhne trauernd, eine Frau bekommt es mit ihrer Doppelgängerin zu tun, ein Bus voll holländischer Touristen fährt durch die Gegend. Ach ja, und da wäre noch die Nazi-Witwe, die in einem Untergrundkino die Filme von einst beschwört, und damit auch die Toten selbst. Da passt es doch ganz gut, wenn an einer Stelle Tanz der toten Seelen zitiert wird, als Sprachsample. Es ist die einzige Stelle in dem Stummfilm, in dem Sprache zu hören ist, ansonsten gibt es wie früher Texttafeln.

Anarchisch, unheimlich, doof
Nicht dass die Sprache, egal ob geschrieben oder gesprochen, sonderlich viel verraten würde. Nach einem skurrilen, aber doch zumindest überschaubaren Einstieg, fasert die Geschichte immer weiter aus, bis man überhaupt nicht mehr sagen, was die Geschichte eigentlich ist. Ständig kommen neue Elemente hinzu, ohne dass sie wirklich eingeführt oder erklärt würden. Die Kinder der Toten wird zu einer grotesken Ansammlung von toten bis untoten Begegnungen, in denen so ziemlich alles möglich scheint. So als würden die zum Schweigen gebrachten Toten alle auf einmal ihre Stimme erheben, laut durch die Schluchten der Steiermark donnernd, durch Wälder und an Abgründen vorbei, bis man am Ende seine eigene Stimme nicht mehr hört, von der man auch gar nicht weiß, ob es die eigene ist oder nicht doch die des Doppelgängers.

An manchen Stellen ist das großartig, eine anarchische Abart heidnischen Horrors à la The Blair Witch Project oder Midsommar, gehüllt in stramm sitzende katholische Kostümchen. Der Film verfolgt dabei jedoch weder die Authentizität des einen, noch die Kunstfertigkeit des anderen, sondern ist vielmehr ein grobes Sammelsurium aus Eindrücken und Einflüssen. Das kann anstrengend sein, vor allem gegen Ende hin, wenn die bewusst billigen Makeups und Perücken in den Nahkampf gegen und jede Form von Spannung am Altar des karnevalesken Blödsinns geopfert wird – was dann nicht einmal wirklich lustig ist. Aber es ist doch einer außergewöhnlicher und absonderlicher Film, gedreht auf körnigem Super 8, und auf mehr als eine Weise den Status Quo hinterfragend. Davon kann man sich durchaus mal eine Scheibe abschneiden, selbst wenn diese noch halb roh sein sollte.



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Das frei nach Motiven des gleichnamigen Gespensterromans entstandene „Die Kinder der Toten“ kombiniert auf eigenwillige Weise Heimatfilm mit Zombiehorror. Teilweise ist das bewusst altertümlich gehaltene Werk großartig in seiner anarchischen Auseinandersetzung mit den verdrängten Toten. Teilweise ist der Film aber auch ziemlich anstrengender Blödsinn.
6
von 10