Es lief schon mal besser im Leben von Victor (Daniel Auteuil). Seine Künste als Comiczeichner sind heute kaum mehr gefragt, zumal er sich strikt weigert, mit der Zeit zu gehen. Aber auch seine Frau Marianne (Fanny Ardant) hält es mit dem Zyniker nicht mehr aus, weswegen sie ihn schon länger mit dessen bestem Freund François (Denis Podalydès) betrügt und sogar aus der gemeinsamen Wohnung wirft. Maxime (Michaël Cohen), der Sohn der beiden, kann dem nicht länger tatenlos zusehen und nimmt deshalb die Dienste seines Freundes Antoine (Guillaume Canet) in Anspruch, dessen Firma es ermöglicht, vergangene Szenen in einem Filmstudio zu rekonstruieren. Für Victor ist das tatsächlich eine schöne Erfahrung, noch einmal die erste Begegnung mit Marianne erleben zu dürfen. Dumm nur, dass deren Darstellerin Margot (Doria Tillier) so reizend ist …
Je älter wir werden, umso häufiger denken wir über unsere Vergangenheit nach. An die Zeit, in der wir jung waren, das Leben aufregend und voller Möglichkeiten, die uns offenstanden, bevor uns Alltag, Routine und körperliche Gebrechen einholten. Die Idee, die Vergangenheit zu rekonstruieren, indem alte Erlebnisse nachgespielt werden, die hört sich vielleicht etwas kurios an. Und teuer natürlich auch. Aber es liegt doch ein unbestreitbarer Reiz darin, eine vergangene Ära neu aufleben zu lassen. Dass es dafür ein Publikum gibt, das steht außer Frage. Ob nun Mittelaltermärkte oder die derzeitigen 80s Revivals in Filmen und Serien, diese künstlichen Zeitreisen können viele Formen annehmen. In der Folge Fahrkarten in die Vergangenheit erzählte vor über 50 Jahren schon die britische Kultserie Mit Schirm, Charme & Melone von einem Unternehmer, der vergangene Epochen nachstellte und damit betuchten Menschen einen Traum erfüllte.
Das Schicksal hinter dem nervigen Äußeren
Bei Die schönste Zeit unseres Lebens sind es jedoch keine Verbrecher, die einer aktuellen Strafverfolgung durch die Illusion der Vergangenheit entrinnen möchten. Zumindest Victor empfindet die Gegenwart aber durchaus als eine Form der Strafe. Alles hat sich um ihn herum verändert, während er krampfhaft an dem festhält, was er früher war. Das bringt ihm nicht unbedingt Sympathiepunkte ein. Schon wenige Filmminuten reichen aus, um klar zu machen: Der Mann kann richtig anstrengend sein. Doch der Film will ihn eben nicht allein als eine senile Nervensäge darstellen. Sobald wir mit ihm erste Schritte in die Vergangenheit wagen, minutiös geplant und aufwendig nachgebaut, beginnen wir zu verstehen, warum er dieser Zeit nachtrauert. Warum er sich selbst ein wenig nachtrauert.
Regisseur und Co-Autor Nicolas Bedos, der erst als Schauspieler Karriere machte, bevor er 2017 mit Die Poesie der Liebe einen wunderbaren Einstand auf der anderen Seite gab, nutzt den Zeitsprung zur Unterhaltung, bringt uns zum Lachen und zum Staunen. Er nutzt ihn aber auch, um sich mit Themen wie Vergänglichkeit auseinanderzusetzen. Mit der Bedeutung von Erinnerungen. Kaum etwas scheint das Paar in der titelgebenden Kneipe La Belle Époque, wo sich die beiden das erste Mal begegneten und wohin Victor zurückkehren möchte, mit der gealterten Version von heute gemeinsam zu haben. Nichts können sie mehr miteinander anfangen, jeder Wortwechsel wird zu einem Gefecht. Und doch waren sie einmal alles füreinander, als sie sich Jahrzehnte zuvor gegenübersaßen und ein neues Leben begann.
Ich vermisse das …
Das ist mit Wehmut verbunden, keine Frage, dem Gefühl eines großen Verlustes. Und wenn später die Illusion bröckelt, Victor doch noch die Vergangenheit verlassen muss, überwiegt sogar die Tragik. Denn es heißt Abschied nehmen, ein zweites Mal, nun auch von den Träumen. Und doch hat Die schönste Zeit unseres Lebens, das bei den Filmfestspielen von Cannes 2019 Weltpremiere feierte, auch etwas sehr Tröstliches an sich. Zwar macht der Film deutlich, dass niemand in seinen Erinnerungen leben kann. Aber er muntert gleichzeitig dazu auf, diese anzunehmen und sich Teile davon zu bewahren, im hier und jetzt, anstatt ihnen nur hinterher zu trauern. So auch Victor, der auf diese Weise Seiten an sich wiederentdeckt, die er selbst vergessen hatte.
Dass die Kinoauswertung so lange gedauert hat, sowohl hierzulande wie auch in Frankreich, überrascht zunächst und ist doch nachvollziehbar. Die schönste Zeit unseres Lebens ist der perfekte Film, wenn die Tage kürzer und dunkler werden, die Stimmung melancholischer und der Blick häufiger in die Vergangenheit gerichtet. Die Tragikomödie greift nicht nur unsere Sehnsucht auf, das alles hinter uns zu lassen, sondern gibt einem darüber hinaus etwas mit für den weiteren Weg. Denn auch wenn der eine Moment, den wir uns so sehr zu eigen machen wollen, nicht ewig währt, die Welt sich ändert, wir uns ändern: Da ist noch immer genug da draußen, das es sich lohnt anzunehmen und zu erleben. Hat das Leben trotz allem Möglichkeiten des Glücks, die wir nur erst erkennen müssen.
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