Was haben Kunst und Wissenschaft miteinander zu tun? Erst einmal nicht so wahnsinnig viel. Und dann irgendwie doch, wenn man so will und sich darauf einlässt. Claudia Lehmann wollte das, und so promovierte sie erst in theoretischer Physik, nur um im Anschluss noch einmal Filmregie zu studieren. Diese beiden Welten treffen auch in Die Sinfonie der Ungewissheit aufeinander. Hier kehrt sie zum Deutschen Elektronen Synchrotron (DESY) zurück, wo sie sich einst in die theoretische Welt der Physik einweisen ließ. Dieses Mal kommt sie jedoch mit einer Kamera bewaffnet, um ihrem ehemaligen Doktorvater Gerhard Mack auf den Zahn zu fühlen.
Nun könnte man an der Stelle meinen, Die Sinfonie der Ungewissheit wäre ein Film eben über dieses Institut, alternativ über Mack. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Vielmehr bringt sie die unterschiedlichsten Disziplinen zusammen, wenn Physiker auf Musiker treffen, Filmemacher auf Heilpraktikerinnen. Die haben sich zwangsläufig eine Menge und gleichzeitig nichts zu sagen, da sich hier völlig unterschiedliche Weltsichten und Wahrnehmungsauffassungen gegenüberstehen.
Die großen Fragen auf vielen Wegen
Zumal Lehmann nicht einfach ein kleines Kaffeekränzchen mit netter Vorstellungsrunde veranstaltet. Stattdessen stehen die großen Themen auf dem Programm. Das Leben und der Tod. Die Frage nach der Existenz. Wie sind wir entstanden? Und warum? Gibt es einen Grund hinter der Zufälligkeit? Es wird darüber hinaus munter diskutiert, wie wir diese Welt erfahren und einen Zugang zu ihr finden können. Der eine versucht es über Elementarteilchen, andere wählen einen intuitiven Weg, vielleicht eine spirituelle Ebene.
Aber kann man sich überhaupt treffen, wenn die einzelnen Wege so unterschiedlich sind? Ja und nein. In manchen Szenen hat man schon das Gefühl, dass sich da Leute gegenüberstehen, die so fundamental verschiedene Einstellungen haben, dass sie sich nur verblüfft anschauen können, als wäre der andere nicht auch ein Mensch, sondern ein komisches Wesen aus den Weiten des Alls. Andere Begegnungen sind aber durchaus spannend, weil in ihrem Rahmen nicht nur die Gesprächspartner*innen mit dem bisherigen Ende ihres Horizonts konfrontiert werden. Auch das Publikum darf ein wenig nachdenken und sich auf eine Reise begegnen.
Ein Kunstwerk der realen Welt
Dass Die Sinfonie der Ungewissheit ein so fesselnder Film ist, liegt aber nicht nur an diesen grenzüberschreitenden Versuchsanordnungen. Die audiovisuelle Umsetzung hat ebenfalls einen Beitrag daran. Die komplett in Schwarzweiß gehaltenen Bilder der Anlage wirken völlig aus der Zeit gerissen, sind majestätisch und fremd. Dazu tritt regelmäßig eine Musikgruppe auf, die ihrerseits versucht, Gräben zu überwinden und dafür Klangteppiche webt, in die alles hineinkommt, was sie findet: maschinelle Geräusche, klassische Instrumente, dazu ein bisschen Vogelgezwitscher von außen.
Das ist zwangsläufig keine ganz einfache Kost, die man nebenher ganz bequem vom Sofa aus konsumiert. Die Sinfonie der Ungewissheit, das bei der Dok Leipzig 2018 gezeigt wurde, bedeutet Genuss und Arbeit gleichermaßen. Hier heißt es, sich treiben zu lassen und dabei doch aufmerksam zu sein, eben Ratio und Intuition miteinander zu verschmelzen. Wer das kann, der sollte sich diese Mischung aus Dokumentation und Essay einmal anschauen. Angst vorm Scheitern braucht man jedoch nicht zu haben, schon der Versuch kann lohnenswerte Erkenntnisse mit sich bringen.
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