Ich bin Anastasia
© missingFILMs

Ich bin Anastasia

Ich bin Anastasia
„Ich bin Anastasia“ // Deutschland-Start: 21. November 2019 (Kino) // 25. September 2020 (DVD)

Seit seinem Amtseintritt wurden immer wieder Fälle begannt, wie Trump systematisch das Leben Transsexueller in der Armee erschwerte. Wie schäbig und unfair das ist, braucht nicht erst betont zu werden. Und doch wirkten die Geschichten immer so weit entfernt. Warum sollten Transsexuelle überhaupt der Armee beitreten wollen? Ist Letztere nicht ohnehin dafür berüchtigt, voll toxischer Männlichkeit zu sein, besessen von den Bildern von einst, die in der heutigen Gesellschaft längst hinterfragt werden? Da scheint es, so traurig es auch ist, doch ausgesprochen töricht, wenn nicht gar selbstzerstörerisch, sich das selbst antun zu wollen. Einen Beruf auszusuchen, in dem man von vornherein mit Diskriminierung und Mobbing rechnen muss, das klingt nach keinem besonders guten Plan.

Ich bin Anastasia zeigt, dass es auch anders geht. Dass eine solche Entwicklung vielleicht selbst gar nicht geplant war. Als Anastasia Biefang mit 18 Jahren der Bundeswehr beitrat, dann sicherlich nicht, um damit für Kontroversen zu sorgen oder Grenzen auszutesten. Im Gegenteil, die Armee wurde zu einem neuen Zuhause, in dem sich Biefang wohl fühlte und gut Karriere machte. Doch das geschah damals noch im Körper eines Mannes. Eine Faible für das Tragen von Frauenkleidung hatte dieser Mann zuvor zwar schon gemerkt, aber nur wenig Beachtung geschenkt. Erst später dämmerte ihm: Er ist eigentlich eine „sie“ und möchte auch das Leben einer Frau führen.

Zu schön, um wahr zu sein?
Das ist unter gewöhnlichen Umständen schon eine Herausforderung. Nicht nur, dass dies eine langwierige medizinische Prozedur ist. Es reagiert auch nicht unbedingt jeder mit Verständnis darauf, das vermeintlich vorgesehene Geschlecht ändern zu wollen. Umso überraschender ist, wie positiv der Tenor in Ich bin Anastasia ausfällt. Weder von Biefangs Familie noch dem militärischen Umfeld werden negative Reaktionen geteilt. Lediglich ein paar hasserfüllte Nachrichten aus dem Netz werden vorgelesen, anonym natürlich, wie so oft beim Mobbing-Rudel. Der Zyniker in einem wird an einer solchen Stelle fast zwangsläufig etwas misstrauisch: Wenn alles glatt geht, gerade bei einem solchen Thema, kommt schnell der Verdacht auf, nicht die ganze Wahrheit gehört zu haben.

Während darüber aber nur spekuliert werden kann, ist der Dokumentarfilm in anderer Hinsicht umso offenherziger. Biefang plaudert aus dem Alltag, erzählt nicht nur von ihren Tagen in der Kleidung ihrer Mutter, sondern auch den ersten heimlichen Gehversuchen in einem Laden, der sich auf Crossdressing-Vorlieben spezialisiert hat. Selbst peinliche Vorfälle, welche die meisten wohl eher für sich behalten hätten, wurden mit der Kamera festgehalten – zumindest verbal. Gleichzeitig bietet der Film Einblick in die Liebesbeziehung der Protagonistin: Nur weil jemand sein Geschlecht anpasst, ändert derjenige nicht seine sexuellen Vorlieben. Eine Transfrau, die auf Frauen steht, eine solche auch heiratet, das bringt natürlich noch einmal ganz eigene Probleme mit sich.

Ein wichtiges Thema, kurz angeschnitten
Der Dokumentarfilm, der auf dem DOK.fest München 2019 Weltpremiere feierte und anschließend auf diversen Festivals zu sehen war, hat daher über das Bundeswehrumfeld hinaus auch noch ein bisschen was zu erzählen. Ganz so sehr in die Tiefe geht das nicht, anderthalb Stunden ist dann doch zu wenig für ein derart komplexes Thema. Mit Theorien zur Transsexualität hält sich Ich bin Anastasia daher nicht auf, von einigen wenigen, die Biefang besonders empört haben, einmal abgesehen. Vielmehr wird hier dem Publikum gesagt, was alles möglich ist, medizinisch wie gesellschaftlich. Ein Film, der also ein bisschen aufmuntern möchte.

Als eine solche Aufmunterung funktioniert Ich bin Anastasia gut, besonders für Betroffene, die ihr eigenes Coming-out noch vor sich haben. Biefang selbst ist zudem charismatisch und eloquent genug, um den Film zu tragen. Ein bisschen schade ist, wie wenig das Umfeld zu Wort kommt, außer der Titelheldin selbst hat kaum einer die Gelegenheit, etwas zur Geschichte zu sagen. So naheliegend es ist, das hier als One-Woman-Show zu inszenieren, ein bisschen mehr Außenperspektive wäre dennoch nicht schlecht gewesen, um das für viele noch immer fremde Thema greifbarer zu machen. Ein wichtiger Beitrag ist die Dokumentation aber so oder so, gerade auch in Zeiten, in denen Diskriminierung und Ausgrenzung wieder auf dem Vormarsch sind.



(Anzeige)

Transsexualität in der Bundeswehr? Gar kein Problem: „Ich bin Anastasia“ zeigt, wie ein Berufssoldat mitten in der Karriere vom Mann zur Frau wurde, was deutlich besser aufgenommen wurde, als man vorher vermutet hätte. Aus Zeitgründen geht das Ganze nicht so sehr in die Tiefe, vor allem das Umfeld bekommt nicht viel Gelegenheit zu sprechen. Doch der Dokumentarfilm macht Mut, zu sich zu stehen und ist damit ein wichtiger Beitrag zu einem für viele noch immer fremden Thema.