Mitte der 90er standen die Türen ganz weit offen für weibliche Singer-Songwriter, Künstlerinnen wie Alanis Morissette, Tori Amos, Björk, Jewel oder Sarah McLachlan verkauften Millionen von Alben. Von dieser Bewegung ist heute kaum mehr etwas übrig, viele der durchaus talentierten Sängerinnen, die von dem Hype profitierten, sind seither in der Versenkung verschwunden. Eine der wenigen Ausnahmen, die diesem Abwärtstrend standhalten und sich bis heute ihre Relevanz bewahren konnten, ist PJ Harvey. Mehr als zwanzig Jahre später macht sie nicht nur nach wie vor Musik, sondern wird dafür sogar noch tatsächlich wahrgenommen. Von den Kritikern, die sie in höchsten Tönen loben. Vom Publikum, das ihr aktuellstes Album The Hope Six Demolition Project daheim in England zu einem Nummer-eins-Erfolg machten, der erste in der langen Karriere der Sängerin.
Wenn jetzt einige Jahre später ein Dokumentarfilm in die Kinos kommt, der das Entstehen dieses Albums näher beleuchtet, ist das einerseits nachvollziehbar, stimmt einen gleichzeitig aber skeptisch. Warum denn jetzt noch? Und ist das nicht eine Form von Ausverkauf für eine Künstlerin, die nie dem Mainstream hinterherlief? Tatsächlich ist PJ Harvey – A Dog Called Money aber mehr als nur ein Nebenprodukt eines Erfolgsalbums. Vielmehr ist es Teil einer Gesamterfahrung, die ihren Anfang in einer Reihe von Reisen nahm, die Harvey zusammen mit Filmemacher Seamus Murphy zwischen 2011 und 2014 machte. Reisen, die durch Afghanistan führten, den Kosovo, aber auch die USA, und die sie in einem Gedichtealbum und besagtem Musikalbum verarbeitete – und nun neben als Film vorliegt.
Ein musikalisches Reisetagebuch
Die Auswahl der Länder verrät bereits, dass es nicht um einen schön entspannenden Roadtrip ging. Vielmehr nutzte Harvey diese Erlebnisse, um damit auf die Not der Menschen aufmerksam zu machen. Eine Art Reportage, wenn man will, nur eben in Musik gepackt. PJ Harvey – A Dog Called Money ist dann auch zweierlei. Einerseits funktioniert der Dokumentarfilm, der auf der Berlinale 2019 lief, als eine Art Making of, wenn wir über einen längeren Zeitraum dabei sein dürfen, wie Harvey das Album aufnimmt. Gleichzeitig hält der Film aber auch die Reise als solches fest, ist also eine Art Reisetagebuch – wenn auch keines, das unbedingt neidisch stimmt.
Im Gegenteil, wenn die Britin durch ärmliche Gebiete fährt, sich mit Leuten unterhält, denen nichts geblieben ist, oder auch zerstörte Häuser betritt, dann sind das Anblicke, die einem in Erinnerung bleiben. Obwohl sich PJ Harvey – A Dog Called Money natürlich zuerst einmal an die Fans der Künstlerin richtet, der Film ist nicht allein auf sie beschränkt. Dafür hat er zu viel zu erzählen, zu viel zu sagen auch. Wobei der spannendste Aspekt natürlich schon die Verbindung aus beidem ist, wenn wir also „live“ miterleben, wie aus der Realität Kunst wird und eines das andere bedingen kann. Wer bei Musikbiopics wie Bohemian Rhapsody besonders die Szenen mochte, in denen gezeigt wird, wie genau ein Lied entsteht, bekommt hier jede Menge Anschauungsmaterial, das zudem den Vorzug hat, mal echt zu sein.
Doch so interessant die Musik Harveys ist, ein bisschen schwierig ist es schon, dem Film ganz zu folgen. Während anfangs die Verbindung von Bild zu Musik noch einigermaßen schlüssig ist, rächt sich irgendwann, dass die Reise eben doch keinem echten Ziel folgt und kreuz und quer durch die Welt führt. Die Aufnahmen schreiten voran, der Weg führt weiter, es entsteht daraus aber nicht das Gefühl einer Entwicklung. Man lernt zudem nicht wirklich viel daraus, dafür ist die Reise trotz des Blicks nach außen zu persönlich. Lohnenswert sind diese einzelnen Etappen aber allemal, sowohl für die Lieder wie auch die Bilder, PJ Harvey – A Dog Called Money lädt dazu ein, ein bisschen über den Tellerrand hinauszublicken, in mehr als einer Hinsicht.
(Anzeige)