Für den 30-jährigen Marcelo di Souza gibt es nur eines im Leben: seine Arbeit mit Rindern! Als ausgerechnet diese ihm eines Nachts während eines brutalen Überfalls gestohlen werden, weiß er nicht mehr so recht, was es für ihn noch zu tun gibt und was er mit sich anfangen soll. Denn was ist ein Cowboy in der brasilianischen Pampa ohne die entsprechenden Tiere? Zum Glück ist ihm eine andere Tätigkeit aber noch geblieben: das Rodeo. Dort tritt er immer wieder auf, heizt das Publikum mit seinen Ansagen ein, das sich in seinen Ausführungen über das Leben in der brasilianischen Provinz wiederfindet …
Cowboys? Die gab es früher mal, ritten auf Pferden im wilden Westen und kämpften gegen Schurken, wahlweise auch gegen Indianer. Dieses Bild ist inzwischen natürlich überholt, so wie auch die dazugehörigen Western quasi ausgestorben sind, sofern nicht von einer fernen Vergangenheit geträumt wird, als Männer noch Männer waren, Amerika noch großartig. Bei Querência – Heimkehren ist das anders. Nicht nur, weil die Geschichte in Brasilien spielt, anstatt in den USA, einem Land also, in dem die Ureinwohner zumindest teilweise noch einen Platz zum Leben haben. Außerdem gibt es hier keine wirklichen Helden, zumindest nicht so, wie es sich Western-Filmemacher vorgestellt haben.
Über das Leben auf dem Land
Stattdessen hat der brasilianische Regisseur und Drehbuchautor Helvécio Marins Jr. seinen zweiten Spielfilm der ländlichen Bevölkerung seines Heimatlandes gewidmet, die zunehmend an den Rand gedrückt wird. Wie in anderen Ländern auch konzentriert sich die Macht auf die Städte, ebenso der Reichtum. Der Rest wird abgehängt, sucht Trost in starken, populistischen Männern, die ihnen versprechen, das Rad der Zeit zurückdrehen zu können. Querência – Heimkehren fängt diese Stimmung ein, ohne dabei jedoch allzu politisch zu werden. Auch spielt Rassismus keine Rolle, der meist mit diesen einfachen Lösungen einhergeht. Stattdessen versteht sich die Bevölkerung hier als Gemeinschaft, die zusammenhält, während der Rest der Welt sie vergessen hat.
Der Titel hat dabei eine doppelte Bedeutung: Er bezeichnet sowohl die Fähigkeit von Tieren, an den Ursprungsort zurückzufinden, als auch einen Platz in einer Rodeo-Arena, an dem sich ein Bulle sicher fühlt. Beides trifft auf Marcelo zu, der nach der traumatischen Erfahrung auf der Farm seinen Platz im Leben sucht. Dabei fließen Fakt und Fiktion ineinander, der Cowboy spielt hier – wie nahezu alle Darsteller und Darstellerinnen – eine Version seiner selbst. Oft wird bei Querência – Heimkehren auch nicht ganz klar, welcher Teil nun rein dokumentarisch ist, welcher von Marins Jr. erfunden. So oder so: Es geht dem Filmemacher darum, einen Lebensstil aufzuzeigen, Geschichte und Handlung sind eher nebensächlich.
(Fast) nichts mehr wie früher
Das provoziert natürlich Vergleiche zu The Rider vor zwei Jahren. Auch dort ging es um einen Cowboy, der nach einem schlimmen Vorfall – damals ein Sturz – sein bisheriges Leben überdenkt. Auch dort waren Spielfilm und Dokumentation kaum voneinander zu trennen, Erfundenes und Biografisches. Zudem wird wie bei Chloé Zhaos Film das klassische Männlichkeitsbild hinterfragt, wenngleich etwas weniger stark als damals. Die Ohnmacht beim Überfall hängt Marcelo nach, er fühlt sich schwach und bedeutungslos, unsicher. Erst durch seine Rolle beim Rodeo kann er wieder einen Platz für sich behaupten.
Das hätte prinzipiell aufbauendes Wohlfühlpotenzial, wird aber durch die beständig dunklen Bilder erschwert. Viele Szenen spielen nachts, zwischenzeitlich fragt man sich sogar, ob in Brasilien eigentlich nie die Sonne aufgeht. Aber auch die ruhige, spröde Erzählweise verhindern ein zu zahlreiches Kinopublikum: Das Drama, welches auf der Berlinale 2019 Premiere feierte, ist so bewusst unspektakulär, trotz vereinzelt traumartiger Züge, dass es eine gewisse Herausforderung an die Aufmerksamkeitsspanne darstellt. Wer die jedoch mitbringt und ein Interesse an dem Thema hat, der gewinnt hier einen zwischen Wehmut und Wärme wandelnden Einblick in das ländliche Leben, mit seinen Traditionen und Träumen, die nach und nach verblassen.
(Anzeige)