Chanteraide (Francois Civil) hat ein unglaublich feines Gehör, das es ihm erlaubt, auch die feinsten Nuancen noch zu unterscheiden. Dieses Talent braucht er jedoch nicht für eine musikalische Karriere. Vielmehr arbeitet er als Sonar-Akustiker in einem U-Boot und hilft seiner Crew dabei, die Geräusche unter Wasser richtig einzuordnen und Gefahren zu erkennen. Doch als er bei einem Einsatz falsche Schlüsse zieht und damit den Untergang eines U-Boots riskiert, ist es erst einmal vorbei mit seinem Höhenflug. Fest entschlossen, dieses Versagen nicht einfach hinzunehmen, forscht er auf eigene Faust nach, was da wirklich vorgefallen ist – und kommt einem ungeheuerlichen Geheimnis auf die Spur …
Ein bisschen komisch ist es ja schon, wenn zu Beginn des Film Chanteraide tief in sich hineinhört, so als wollte er telepathischen Kontakt aufnehmen zu … was auch immer. Es könnte ein Wal sein. Ein U-Boot. Vielleicht doch ein Frachter? Nichts überzeugt ihn, das alles ergibt für ihn keinen Sinn. Für das Publikum natürlich genauso wenig. Uns bleibt nicht anderes übrig, als irgendwie darauf zu vertrauen, dass der junge Mann weiß, was er da tut. Großartig drüber nachdenken, ist sowieso nicht, dafür ist die Situation zu angespannt. The Wolf’s Call – Entscheidung in der Tiefe spielt mit diesem unbekannten Geräusch, das ganz harmlos sein kann, aber eben auch einen anstehenden Angriff ankündigen könnte, um damit jede Menge Spannung zu generieren.
Unglaubwürdig, aber spannend
Das sind dann auch die beiden Komponenten, die den französischen Thriller bis zum Schluss begleiten werden. Er fordert einerseits unsere Bereitwilligkeit heraus, das Geschehen auf dem Bildschirm zu glauben, setzt einen jedoch so sehr unter Druck, dass man einiges akzeptiert, was man unter normalen Umständen in Frage stellen würde. Vor allem im späteren Verlauf nimmt die Geschichte einige Wendungen und eskaliert auf eine derart dramatische Weise, wie man es wohl nur in einem Film erleben kann. Regisseur und Drehbuchautor Antonin Baudry mutet den Zuschauern und Zuschauerinnen dabei schon einiges zu. Aber es ist eine schöne Zumutung, zumindest für all die, die sich mal wieder in kontrollierter Umgebung ein bisschen fürchten wollen.
U-Boote sind hierfür natürlich ein sehr dankbares Setting und erzeugen schon in regulären Momenten Spannung. In einem engen Raum eingesperrt sein, weit unter der Wasseroberfläche? Da muss man noch nicht einmal Klaustrophobiker sein, um ein gewissen Unwohlsein zu verspüren. Wenn das dann auch noch mit einem Szenario verbunden wird, möglicherweise in Gefahr zu sein, das zudem durch eine unbekannte Quelle, dann ist der Albtraum perfekt. The Wolf’s Call – auch unter dem Titel Das Heulen des Wolfs bekannt – befasst sich an der Stelle kaum mit den Figuren, die sind entbehrlich. Vielmehr verlässt sich der Film darauf, dass die Situation als solche ausreicht. Anders als etwa Kursk vor einigen Monaten wird hier praktisch gar nicht versucht, den einzelnen Mitgliedern Menschlichkeit zu verleihen.
Hier noch eine Frau für dich!
Große Ausnahme ist an der Stelle natürlich Chanteraide. Wobei Baudry selbst bei ihm keine größeren Ambitionen verfolgt. Eigentlich erfahren wir nur, dass er ein außergewöhnliches Gehör hat, ein bisschen verbissen ist und zu Cannabis nicht nein sagt. Eher der Vollständigkeit halber fügt der Filmemacher noch Diane (Paula Beer) ein, als Freundin für den jungen Mann, damit er nicht ganz allein ist. Oder weil er meinte, dass eine Frau als Ausgleich für das gesammelte Testosteron nicht verkehrt ist. Eigentlich ist sie aber völlig überflüssig, die verordnete Ruhe wäre auch anders gegangen. Da hätte The Wolf’s Call konsequenter sein müssen und aus ihr entweder mehr als eine Requisite machen müssen oder eben doch weglassen. So ist sie aber derart flüchtig, dass man nicht einmal mit Gewissheit sagen könnte, ob es sie überhaupt gibt oder nicht doch ein Unterwasserdruck-Hirngespinst ist.
Dafür profitiert der Film von Hauptdarsteller François Civil (Einsam zweisam, Made in France), der seine kaum ausgearbeitete Figur mit genügend Eigencharme ausfüllt, dass man sich dann doch irgendwie für ihn interessiert. Zusammen mit der angesprochenen Spannung reicht das aus, um The Wolf’s Call zu einem sehenswerten Thriller zu machen, der sich vor anderen U-Boot-Kollegen wie Jagd auf roter Oktober nicht verstecken muss. Den Vergleich mit Das Boot sollte man hingegen lieber erst gar nicht wagen, dafür sind die Filme auch zu unterschiedlich. Hier geht es eben nicht um das Personal in einer ausweglosen Situation, sondern um einen ganz großen Zwischenfall, wie man ihn eher in einer Hollywood-Produktion erwarten würde, nicht in einer französischen. Aber ein bisschen Größenwahn darf ja auch mal in Europa sein.
OT: „Le Chant du loup“
AT: „Das Heulen des Wolfs“
Land: Frankreich
Jahr: 2019
Regie: Antonin Baudry
Drehbuch: Antonin Baudry
Musik: Tomandandy
Kamera: Pierre Cottereau
Besetzung: François Civil, Omar Sy, Mathieu Kassovitz, Reda Kateb, Paula Beer, Alexis Michalik
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