Also, was zu viel ist, ist zu viel. Immer wieder kommen die Nachbarn vorbei, um sich vom Zitronenbaum von Elia Suleiman zu bedienen. Da heißt es für den palästinensischen Künstler, seine Koffer packen und woanders ein neues, besseres Leben zu beginnen. Zumal er ja einen neuen Film drehen will, wofür er noch Geldgeber sucht. Doch ganz so einfach, wie er sich das vorgestellt hat, ist das am Ende nicht. Denn eigentlich sind die Leute überall ein bisschen komisch. Egal ob er nun in Paris ist oder in New York, den großen Metropolen dieser Welt, überall trifft er auf dieselben Probleme und Marotten. Und noch ein paar neue dazu. So will beispielsweise niemand seinen neuen Film finanzieren. Aber wie soll er denn so eine neue Heimat finden?
Irgendwie ist es schon ziemlich passend, wenn Vom Gießen des Zitronenbaums demnächst in die Kinos kommt. Gerade erst hat Trump in seinem ganz speziellen Verständnis von Legalität verordnet, dass die Siedlungen der Israelis im Westjordanland eigentlich doch ganz okay so sind, da zeigt der palästinensische Regisseur Elia Suleiman, wie übergriffige Nachbarn seinen Garten in Beschlag nehmen. Dass es sich bei diesem Bild um einen Verweis auf die Situation der Palästinenser handelt, das sagt der Film zwar nicht, dürfte aber jedem klar sein, der mit dem Werk Suleimans vertraut ist. Schließlich hat er in seinem Oeuvre immer wieder den Alltag in seiner Heimat thematisiert.
Alles gleich, überall
Zehn Jahre sind vergangen seit seinem letzten Film The Time That Remains, wirklich viel geändert hat sich in dieser Dekade aber nicht, weder politisch noch künstlerisch. Erneut wandelt der Palästinenser auf den Spuren großer Meister wie Buster Keaton oder Jacques Tati, wenn er als stiller Beobachter die Absurdität dieser Welt festhält. Neu ist an Vom Gießen des Zitronenbaums jedoch, dass er dafür seine Heimat verlässt: Sein Alter Ego zieht es in den Westen, wo die Menschen freier sind, vielleicht auch jemand ihm Geld gibt für seinen neuen Film. Und doch, so wirklich los kommt er nicht von Palästina, wenn er immer wieder über Sachen stolpert, die ihm bekannt vorkommen.
Panzer zum Beispiel. Die rollen eines Tages durch Paris, um militärische Stärke zu präsentieren, was nicht nur für Suleiman ein befremdlicher Anblick ist. Gleiches gilt für die US-Amerikaner, die – gemäß des Klischees des waffenverrückten Volkes – stolz mit Gewehr um die Schulter zum Einkaufen gehen. Aber es sind nicht allein die alltäglichen Darstellungen von Waffen, denen er unterwegs begegnet. Manch ein Kampf wird anderweitig ausgetragen, wenn es etwa darum geht, noch eine frei Parkbank zu bekommen. Da kann die Sonne noch so kräftig strahlen, der Himmel himmelblau sein, die Bäume von einem saftigen Grün – jeder Tag wird zu einem Kampf um den eigenen Vorteil.
Kleine Augenblicke des universellen Wahnsinns
Eine durchgängige Geschichte erzählt Vom Gießen des Zitronenbaums dabei nicht. Stattdessen besteht die Komödie, die bei den Filmfestspielen von Cannes 2019 Weltpremiere hatte, aus lauter Einzelmomenten, die vielleicht mal thematisch zusammenhängen, meist aber völlig für sich stehen. Das erinnert an die Werke des schwedischen Kollegen Roy Andersson (Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach), die auf eine ähnliche Weise skurrile Vignetten zu Spielfilmlänge zusammenschnitten. Es ist auch ähnlich kunstvoll, einige Passagen sind wundervoll komponierte Anordnungen komischer Einfälle, deren Wirkung noch durch das stumme Staunen Suleimans verstärkt wird: Im gesamten Film gibt er kaum ein Wort von sich.
Auf diese Weise bleibt natürlich eine große Distanz. Gleichzeitig wird er zum Chronisten einer Welt, in der der Wahnsinn der neue Alltag ist. Niemand stört sich mehr daran, wohl weil sie es auch gar nicht bemerken, wie sie nach außen wirken. Das hat etwas Erschütterndes an sich, weil die Suche nach einer Heimat, einem Himmel, von vornherein vergeblich ist. Und doch finden sich auch tröstliche Elemente in dem strahlenden bis satirischen Albtraum von Vom Gießen des Zitronenbaums: Das Leben geht weiter, die Leute finden einen Weg, mit all dem zu leben und weiterzumachen. Und ist der Zitronenbaum dieses Jahr nicht besonders schön?
OT: „It Must Be Heaven“
Land: Frankreich, Deutschland, Kanada, Türkei, Palästina
Jahr: 2019
Regie: Elia Suleiman
Drehbuch: Elia Suleiman
Kamera: Sofian El Fani
Besetzung: Elia Suleiman
Warum gibt es in Vom Gießen des Zitronenbaums kaum Sprache? Und weshalb ist es so schwierig, eine neue Heimat zu finden? Diese und weitere Fragen haben wir Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller Elia Suleiman in unserem Interview gefragt.
Cannes 2019
Filmfest München 2019
Fünf Seen Filmfestival 2019
Toronto International Film Festival 2019
Nuremberg International Human Rights Film Festival 2019
FilmFest Osnabrück 2019
exground 2019
Filmfest Braunschweig 2019
Französische Filmtage Leipzig 2019
Around the World in 14 Films 2019
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