Zeit der Geheimnisse Netflix
© Nik Konietzny/Katalin Vermes/Netflix

Zeit der Geheimnisse

Zeit der Geheimnisse Netflix
„Zeit der Geheimnisse“ // Deutschland-Start: 20. November 2019 (Netflix)

Weihnachten steht vor der Tür und damit ein Anlass für die beiden Schwestern Vivi (Svenja Jung) und Lara (Leonie Benesch), ihre Großmutter Eva (Corinna Harfouch) zu besuchen, die zurückgezogen im hohen Norden lebt. Doch was als gemütliches Familienfest gedacht war, wird schnell empfindlich gestört. Erst der Schrecken, als die beiden Eva fälschlicherweise für tot halten. Kaum haben sie sich von diesem Schock erholt, schneit ihre Mutter Sonja (Christiane Paul) herein, zu der sie schon immer ein schwieriges Verhältnis hatten. Und das ist nur der Anfang eines Weihnachtsfestes, das so manche Überraschung für die Familie bereithält …

Wenn Filmemacher entfremdete Familienmitglieder zusammenbringen wollen, dann gibt es dafür zwei Anlässe, die besonders gern aus dem Hut gezaubert werden: Entweder jemand heiratet oder es stirbt jemand. Manchmal passiert auch beides, siehe der Überraschungshit The Farewell, wo eine vorgeschobene Hochzeit in Wahrheit als Abschiedstreffen geplant ist. Eine etwas seltenere Variante ist die, welche den Menschen eigentlich am nächsten sein sollte: Weihnachten! Das hat den Vorteil, dass praktisch jeder sich irgendwie damit identifizieren kann, viele nutzen diese Feiertage schließlich, um Familie in Freunde zu besuchen. Der Nachteil ist jedoch, dass dieses Setting dazu führt, dass der Film außerhalb der Feiertage eher ignoriert wird.

Eine alte Tradition
Netflix hat in dieser Hinsicht keine größeren Verlustängste. Im Gegenteil: Der Streamingdienst hat mit saisonalen Werken diverse Erfolge gefeierte, gerade im Weihnachtsumfeld. Und so gibt es nun mit Zeit der Geheimnisse nach Weihnachten in der Wildnis, Tage wie diese und Klaus bereits die vierte festliche Produktion dieses Jahr. Zwei Punkte fallen dabei jedoch etwas aus dem Rahmen. Zum einen handelt es sich um eine Serie, wobei die drei Episoden zusammengeschnitten auch nur die übliche Filmlänge haben. Außerdem ist die Geschichte um die Frauen eines Hauses an der Nordsee ein deutsches Werk, was hierzulande bei manchen automatisch für leuchtende Augen sorgt. Wir sind Netflix!

Im Gegensatz aber zu Wir sind die Welle, für das kürzlich mächtig die Werbetrommel gerührt wurde und einen von zahlreichen Plakaten aus anstarrte, wird Zeit der Geheimnisse eher beiläufig, fast versteckt ins Programm aufgenommen. Das mag mit einer geringeren Erwartungshaltung von Netflix zu tun haben, vielleicht aber auch mit der Zielgruppe. Schließlich wird hier nicht um die Gunst einer rebellischen Jugend geworben, sondern um ein etwas gesetzteres Publikum, das es sich auf dem leicht verblichenen Familiensofa gemütlich macht, mit ein bisschen Kaffee, Tee oder auch einer heißen Schokolade. Ob dieser Versuch der Zielgruppenerweiterung erfolgreich sein wird, das bleibt abzuwarten. Immerhin geht Netflix mit einem soliden, teils überraschend ambitionierten Drama an den Start.

Weihnachten als Spiegel der Familie
Anstatt hier nur wie erwartet von einem Seifen-Oper-Moment zum nächsten zu eilen – der Titel weckte da gewisse Befürchtungen –, verknüpft Zeit der Geheimnisse mehrere Zeitebenen, um auf diese Weise nach und nach das Porträt einer nicht immer so harmonischen Familie anzulegen. Diese Szenen spielen allesamt an Weihnachten, was ein wenig an den chinesischen Film Us and Them erinnert; dort war es ein Paar, dessen Geschichte anhand ihrer Silvester-Feiern erzählt wird. Nur dass hier die Lücken sehr viel größer sind und die einzelnen Handlungsstränge dazu dienen, das Verhältnis zwischen den Generationen zu beleuchten. Weshalb haben die Enkelinnen ein so schwieriges Verhältnis zu der Mutter? Was ist mit dem Vater geschehen? Überhaupt: Männer sind in der von Katharina Eyssen konzipierten und von Samira Radsi (Deutschland 83) inszenierten Serie nur Begleitmaterial. Teils wird über sie gesprochen, teils stehen sie unbeachtet in der Gegend herum oder sind mehr oder weniger Witzfiguren.

Darüber könnte man sich wundern oder gar ärgern, wären die Frauenrollen nicht so kompetent besetzt, dass man neben ihnen nicht sonderlich viel braucht. Corinna Harfouch (Lara) hat dabei den Vorteil, in mehreren Zeitebenen mitspielen zu dürfen, während die anderen Rollen dem Alter entsprechend von mehreren verkörpert werden. Christiane Paul (Was gewesen wäre) wiederum hat die dankbarste Rolle als ehemalige Alkoholikerin und Rabenmutter, die eines der besagten Geheimnisse mit sich herumträgt. Zusammen mit der hochwertigen Ausstattung und den schönen Außenaufnahmen gibt es daher schon einiges zu sehen, selbst wenn die Geschichte an sich so großartig nicht ist. Wer mit der Erwartung einschaltet, viele Abgründe zu erkunden, dem wird das zu wenig sein – auch wenn die Serie das anders verkaufen möchte. Wem hingegen mehr der Sinn nach komplexen Familienverflechtungen steht, muss sich mit diversen Klischees, Konventionen oder auch Übertreibungen anfreunden.



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In „Zeit der Geheimnisse“ lernen wir eine leicht dysfunktionale Familie kennen, indem wir ihnen über diverse Weihnachten hinweg Gesellschaft leisten. Die Struktur des deutschen Dreiteilers ist ambitionierter, als man es von solchen Geschichten erwarten kann. Zudem ist das Drama sehr gut besetzt und schön bebildert. Inhaltlich wird jedoch zu wenig geboten.
6
von 10