1900
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Kritik

1900
„1900“ // Deutschland-Start: 21. Oktober 1976 (Kino) // 19. Dezember 2019 (Blu-ray)

Der 27. Januar 1901, der Todestag des Opernkomponisten Giuseppe Verdi, markiert zwar einen traurigen Tag für das Land Italien, aber einen erfreulichen Tag für zwei Familien. Während die Dalco Familie, ein Clan einfacher Landarbeiter, mit Olmo ein weiteres hungriges Maul, wie das Familienoberhaupt Leo Dalco (Sterling Hayden) es sagt, in ihrer Mitte begrüßen dürfen, ist der Eigentümer des Landes und damit der Arbeitgeber der Dalcos, Alfredo Berlinghieri (Burt Lancaster) außer sich vor Freude, von der Geburt seines nach ihm benannten Enkels zu hören. Als die beiden Jungen heranwachsen, freunden sie sich an, auch wenn ihre beiden Familien unterschiedlichen sozialen Schichten angehören. Als der mittlerweile erwachsene Olmo (Gérard Depardieu) als Soldat aus dem Ersten Weltkrieg zu seiner Familie zurückkehrt, haben sich die Lebensumstände seiner Familie sehr geändert. Unter Alfredos Vater Giovanni (Romolo Valli) und dessen Vorarbeiter Attila (Donald Sutherland) werden die Arbeiter ausgebeutet und drakonisch bestraft, sollten sie auf die Idee kommen zu rebellieren. Sein Jugendfreund Alfredo (Robert De Niro) schaut tatenlos zu, während um ihn herum dieses Unrecht passiert, immer darauf bedacht, nicht gegen seinen Vater zu stehen. Während sich Olmo immer mehr mit dem Sozialismus sympathisiert und schließlich Arbeiterproteste organisiert, wird Alfredo für seine Rolle als padrone, als Landeigentümer, ausgebildet, der mit den aufstrebenden Faschisten im Lande sympathisiert.

Die Geschichte einer Heimat
Für den italienischen Regisseur Bernardo Bertolucci ist das Mammutprojekt 1900 so etwas wie ein Lebensprojekt. Geboren in Parma, der Region, in welcher die Geschichte des Films angesiedelt ist, war der Brennpunkt vieler, teils blutiger Kämpfe zwischen Landbesitzern und Arbeitern sowie die Region, in welcher Benito Mussolini geboren wurde, beides Kapitel der eigenen Geschichte, die Bewohner der Region gerne vergessen würden. So wundert es nicht, dass Bertoluccis Projekt speziell bei den Einheimischen auf wenig Gegenliebe stieß während der Dreharbeiten. Doch dies sollte nur eine der vielen Hürden sein, die der Regisseur mit seinem Projekt überwinden musste.

Im Kern eine Geschichte zweier Freunde ist 1900 das Drama zweier Ideologien, die sich begegnen und einander bekämpfen. Auf der einen Seite spielt Depardieu einen jungen Menschen, der sich bereits als Kind gegen die Obrigkeit auflehnte, sehr zur Freude seines Großvaters, gespielt von Sterling Hayden. Dieser Mensch will nicht gefallen, ist rebellisch, packt aber auch mit an und ist erfüllt von einer gewissen Verachtung für Regeln oder jegliche Begrenzungen seiner Freiheiten. De Niros Figur hingegen ist ein hochsensibler Mensch, der lieber von der Ferne aus beobachtet, der die Brutalität seines Vaters zwar ablehnt, aber eine offene Rebellion scheut. In gewisser Weise ist er ein Seelenverwandter der Mitläuferfigur wie sie Jean-Louis Trintignant in Bertoluccis Der große Irrtum spielt, einer weiteren Auseinandersetzung mit dem Faschismus in Italien.

Ein weiteres Thema, welches Bertoluccis Werk begleitet, ist das Zusammenspiel von Sexualität und Konformismus oder eben Aktionismus. Gerade diese Szenen, beispielsweise als Olmo und Alfredo als Kinder ihre Geschlechtsteile vergleichen, zeigen die Kräfteverhältnisse der beiden Akteure dieses Films, die sich, gerade in der kürzlich erschienenen restaurierten Version wie ein roter Faden durch den Film ziehen. Allerdings, wie John Baxter in seiner De Niro-Biografie, treffend beobachtet, irritieren diese Szenen bisweilen, vor allem aufgrund der Stellung eines Alfredo als Protagonist.

Ein umkämpftes Land
Neben den Menschen ist es vor allem das Land, welches Bertolucci fasziniert. In vielen prächtigen Einstellungen fängt Kameramann Vittorio Storaro nicht nur die Schönheit dieses Landes ein, sondern auch dessen kontinuierliche Veränderung durch politische, soziale aber auch technische Neuerungen. Der Wechsel der Landarbeit von einer rein menschlichen Tätigkeit hin zu einer immer mehr technisierten Handlung, wie die durch den Pflug und später die Erntemaschinen angedeutet wird, ist ein mehr als deutlicher Fingerzeig auf jene dritte Ideologie, die letztlich die Oberhand über Faschismus und Sozialismus haben wird.

Vor diesem Hintergrund wirkt 1900 beinahe wie eine Oper, eine, wie sie Verdi hätte schreiben können, dessen Tod bekanntlich den Anfang dieser Geschichte bildet. In Zusammenspiel mit der grandiosen Filmmusik Ennio Morricones spielt sich hier das große Drama eines Landes ab, voller Emotionen, Gewalt, Leidenschaft und Krieg.

Credits

OT: „Novecento“
Land: Italien, Frankreich, Deutschland
Jahr: 1976
Regie: Bernardo Bertolucci
Drehbuch: Bernardo Bertolucci, Giuseppe Bertolucci, Franco Arcalli
Musik: Ennio Morricone
Kamera: Vittorio Storaro
Besetzung: Gérard Depardieu, Robert De Niro, Dominique Sanda, Laura Betti, Alida Valli, Donald Sutherland, Burt Lancaster, Romolo Valli, Sterling Hayden

Bilder

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"1900" ist ein epochales Drama über Ideologien, Freundschaft und Familie. Bis in jede Nebenrolle genial besetzt mit tollen Darstellern ist Bertoluccis Film ein großes Erlebnis für den Zuschauer, welches man nun in seiner ganzen Länge erfassen kann.
9
von 10