Henrique (Henrique Bonacho) ist alles andere als ein einfacher Mann. Oder gesellig. Er zieht es vor allein zu sein, lebt ungestört in seiner Hütte in den Bergen, wo er nur wenige Menschen treffen muss. Das hat seinen guten Grund, ist seine Vergangenheit doch ausgesprochen dunkel. Als es eines Tages zu einem gewaltsamen Zwischenfall kommt, gibt es für ihn nur die Flucht nach vorne. Er packt das Nötigste zusammen und treibt sich in den einsamen Wäldern Portugals herum, in der Hoffnung, von niemandem gefunden zu werden …
Alva ist einer dieser Filme, die man gleichzeitig ganz einfach und irgendwie gar nicht beschreiben kann. Der Mittelpunkt ist klar: Henrique. Mit ihm beginnt der Film, mit ihm endet er. Und auch dazwischen lässt die Kamera den Mann nie aus dem Blickwinkel, so als hätte sie Angst, dass er ihnen sonst entwischt und sonst was anstellt. Das mag verständlich sein, schließlich ist er zu einigem fähig. Das zeigt eine Szene. Und zeigt es wiederum nicht, die Geschichte macht sich genau dann aus dem Staub, als sie droht, konkret zu werden.
Die Flucht ins Nichts
Dafür gibt es viel Natur. Und Häuser, in denen früher wohl mal jemand gewohnt hat, die inzwischen aber nur Ruinen sind, die Henrique während seiner Flucht besetzt. Nun sind Männer auf der Flucht in Filmen keine seltene Angelegenheit. Viele Verbrecher wollen davon kommen und nutzen deshalb ihre Füße, Autos oder was auch sonst sie immer gerade unterwegs vorfinden. Manchmal sind es auch nur Leute, von denen behauptet wird, dass sie Verbrecher sind, was aber nicht stimmt und sie deshalb weglaufen. Gerecht geht es schließlich selten zu, egal ob Film oder Nicht-Film. Da ist Flucht manchmal das bessere Mittel.
Und doch ist Alva kaum mit solchen Werken zu vergleichen, das wollte Regisseur und Drehbuchautor Ico Costa gar nicht. Wo sonst die Verfolger den Protagonisten dicht auf den Spuren sind und dieser oft nur im letzten Moment entkommen kann, weiß man hier zeitweise gar nicht, ob das draußen in der Welt überhaupt noch jemand nach ihm sucht. Die Flucht sieht man, die Verfolgung nicht, was wiederum die Flucht ad absurdum führt. So als würde ein Kind allein Verstecken spielen und man es dabei beobachten. Die Neugierde besteht wenn also nicht in der Frage, ob die Person gefunden ist, sondern wohin es sie dabei verschlägt.
Sinnsuche in einem einsamen Wald
Das ist mindestens ungewöhnlich, muss aber nicht zwangsweise schlecht sein. Es gibt ja auch Filme noch und nöcher, bei denen nicht das Ziel das Ziel ist, sondern der Weg dorthin. Roadmovies. In Alva gibt es aber keine Straßen oder Wege oder irgendetwas anderes, das dem Geschehen Untergrund und Halt geben könnte. Costas Werk gleich mehr einem Dokumentarfilm, so rau, so ungeschönt, als wäre Henrique, der von Henrique gespielt wird, echt. Mutig ist das: Der Portugiese hat einen Film gedreht, wie man sie nur auf Filmfesten – beispielsweise dem in Rotterdam – oder in kleinen Arthouse-Kinos sieht. Einen Film, der für ein reguläres Kinopublikum dann aber doch etwas wenig bietet.
Viele dürften sich eher langweilen, wenn sie mit Henrique durch die einsamen Wälder Portugals streifen. Wo Der Ornithologe ein zumindest teilweise ähnliches Szenario durch sonderbare Begegnungen und surreale Einschübe auflockerte, da ist diese Sinnsuche hier durch sehr viel Mut zur Lücke und Distanz geprägt. Später wird sich zwar ein wenig erschließen, mit wem wir es zu tun haben und worum es denn nun geht. Doch zu dem Zeitpunkt dürften die meisten schon aufgegeben und die Heimreise angetreten haben: Alva ist ein Film, der nicht nur aufgrund der fehlenden Antworten rätselhaft ist, sondern auch wegen einer nicht klar erkennbaren Absicht. Weder hat der Film etwas über die Figur noch sein Umfeld zu sagen, verweigert sich aber auch klassischer Unterhaltungsmechanismen, ist am Ende genauso verloren wie sein schweigsamer (Nicht-)Held.
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