Als der Archäologe Erhan (Mehmet Günsür) an einer Ausgrabungsstätte eine große Entdeckung macht, ist die Begeisterung groß. Was mag dort nur zu finden sein? Was hat es mit dem mysteriösen Symbol auf sich? Die Malerin Atiye (Beren Saat) hat währenddessen ganz andere Sorgen. Als würde die baldige Hochzeit mit dem reichen Erben Ozan (Metin Akdülger) nicht schon genügend von ihrer Aufmerksamkeit einfordern, hat sie zuletzt so eigenartige Visionen, die mit der Höhle zusammenhängen. Aber auch mit ihrer eigenen Familie: Ihre Nachforschungen ergeben, dass da einiges vorgefallen ist, was ihr nie jemand verraten hat, dass an ihr, aber auch ihrer Schwester Cansu (Melisa Senolsun) mehr ist, als sie bislang ahnte …
Einblick in ein fremdes Geheimnis
In den letzten Jahren hat sich das türkische Kino hierzulande ein treues Publikum erkämpft, nahezu jeden Monat kommen neue Titel heraus. Die hiesige Gemeinde dankt es, regelmäßig tauchen die Filme in den Kinocharts auf, zumindest auf den mittleren Rängen. Beim Heimgebrauch sieht es da schon deutlich düsterer aus, nur wenige dieser Kinofilme erscheinen später auch auf DVD. Aber dafür gibt es ja Netflix, die bei ihrem Versuch, die ganze Welt zu Kunden und Kundinnen zu machen, vor keinem Land Halt machen. The Protector, die erste eigene türkische Serie, war bereits ein Achtungserfolg. Atiye – Die Gabe könnte diese erfreuliche Tendenz durchaus fortsetzen.
Am Anfang macht die Adaption eines Werks von Şengül Boybaş durchaus Laune: Archäologische Ausgrabungen, eine geheimnisvolle Entdeckung und Visionen, die sich keiner so recht erklären kann, das ist ein guter Auftakt, um die Neugierde der Menschen vor den Bildschirmen zu wecken. Und zumindest eine Weile scheint Atiye – Die Gabe in erster Linie über die Titelfigur und ihre sonderbaren Kräfte zu sein, sowie über ihre Familie, in denen noch mehr in der Hinsicht vorgeht. Es redet nur keiner darüber. Das ist fürs Familienleben schlecht, als Zuschauer aber ganz praktisch, da wir gemeinsam mit Atiye rätseln dürfen, was hinter allem steckt. Ob überhaupt was dahinter steckt oder die Familie letztendlich nur zu psychischen Krankheiten neigt.
War da noch was?
Später geht dieser Aspekt leider zunehmend verloren. Zwar bemüht sich Atiye – Die Gabe schon irgendwie, den Mystery-Faktor hochzuhalten, verrennt sich dabei jedoch. Aus dem klassischen Abenteuer wird ein Verschwörungsthriller, angereichert mit esoterischen Floskeln, die Tiefgründigkeit vortäuschen sollen, letztendlich aber ziemlich langweilig sind. Die Fragen, die man zunächst hatte, werden teils gar nicht beantwortet. Und wenn doch mal eine Antwort rausspringt, ist die unbefriedigend. Der gute Eindruck, der sich in den ersten Folgen etabliert, er hält leider nicht bis zur achten an, welche die erste Staffel abschließt. Das liegt aber auch an dem Pathos, der mit der Zeit immer stärker wird, wenn die Serie auf einmal richtig dramatisch werden will.
Ein weiteres Manko sind die Figuren, welche einem viel zu schnell auf die Nerven gehen. Am besten erwischt hat es in der Hinsicht noch Atiye selbst, die zumindest noch ein paar Mitleidspunkte dafür bekommt, ständig von anderen übergangen zu werden. Tatsächlich interessant ist sie deshalb aber nicht. Der Rest des Kabinetts schwankt zwischen nichtssagend und anstrengend, was die Serie irgendwann zur Geduldsprobe werden lässt. Fürs Mittelfeld reicht das zwar trotz allem irgendwie, und sei es nur, weil man aus lauter Trotz wissen will, was das jetzt alles soll. Die Hoffnungen, die man an Atiye – Die Gabe hatte, sowohl aufgrund der Beschreibungen wie auch des Einstiegs, werden aber nicht erfüllt. Zum beiläufigen Bingen reicht es, mehr gibt die türkische Produktion nicht wirklich her.
OT: „Atiye“
IT: „The Gift“
Land: Türkei
Jahr: 2019
Regie: Ozan Açıktan, Gonenc Uyanik
Drehbuch: Jason George, Nuran Evren Şit, Fatih Ünal
Vorlage: Şengül Boybaş
Musik: Sertac Özgümüs
Kamera: Ahmet Sesigurgil
Besetzung: Beren Saat, Mehmet Günsür, Metin Akdülger, Melisa Senolsun, Basak Köklükaya, Civan Canova, Tim Seyfi, Meral Çetinkaya
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