Eigentlich führen Leo (Kim Bodnia) und sein Kumpel Lenny (Mads Mikkelsen) ein gutes, geregeltes Leben. Während der eine in einer liebevollen Beziehung mit Louise (Rikke Louise Andersson) ist, die ihm seinen Freiraum gewährt, pendelt Leo zwischen seinem Job in einer Videothek, dem Kino und seiner kleinen Wohnung hin und her. Jedoch zerbricht ihre Routine, als Louise Leo gesteht, dass sie schwanger ist, und Lenny sich in eine Lea (Liv Corfixen) verliebt, die in einem Imbiss in der Nähe der Videothek arbeitet. Der ansonsten gelassene Leo wird immer unruhiger und unzufriedener mit seiner Situation, was zu Spannungen zwischen ihm und Louise, aber auch ihrem Bruder Louis (Levino Jensen) führt. Als er sich der kommenden Verantwortung als Vater bewusst wird, droht die Lage zu eskalieren, besonders da Leo immer unberechenbarer und gewalttätiger wird. Dies bringt nicht nur seine Beziehung an den Rand des Zusammenbruchs, sondern bringt ihn auf direkten Kollisionskurs mit Louis und dessen Verbindungen in die Unterwelt Kopenhagens.
Leben in der Blase
Nach dem Erfolg seines Debütfilms Pusher (1996) befand sich Regisseur Nicolas Winding Refn in einer Art „autistischer Blase“, wie er es in Interviews beschreibt. Während Pusher gerade beim heimischen Publikum gut ankam, war das Presseecho eher verhalten und im Ausland interessierte sich kaum jemand für den Film. Refn, der lange Zeit mit seinen Eltern in den Vereinigten Staaten aufwuchs, träumte von nichts anderem, als in Hollywood Filme zu machen, aber das schien in weiter Ferne. Dementsprechend sieht er Bleeder nicht nur als eine Art Befreiungsschlag, sondern auch als eine Reflexion über diese Gefühle des Eingesperrtseins, der Frustration und der Angst vor der Zukunft.
Folglich ist Bleeder ein ganz anderer Film als Pusher, weniger ein Genrefilm, sondern mehr ein persönliches Drama. Kim Bodnia und Mads Mikkelsen spielen Figuren, die viele Verbindungen zu ihrem Erschaffer Nicolas Winding Refn aufweisen, wie dieser selbst zugibt, vor allem an dem filmversessenen, introvertierten Lenny erkennt man viele Spuren der Persönlichkeit Refns. Verbunden sind beide durch die Veränderungen in ihrem Leben, eine Entwicklung, die ihnen beiden ebenfalls eine Veränderung ihres Charakters und ihres bisherigen Lebens abverlangt, sprich ein Verlassen in der bislang eher behüteten Blase der Routine, die sich über die Jahre aufgebaut hat.
Aus diesem Konflikt heraus ergibt sich ein Moment der Ernüchterung oder Erkenntnis. Besonders in Bodnias Figur wird dies deutlich, vollzieht diese doch die erschütterndste Entwicklung, verändert sich und ist für sein Umfeld nicht mehr wiederzuerkennen. Ein Schlüsselmoment, die Beobachtung einer fast schon beiläufigen Gewalttat setzt eine emotionale, existenzielle Kettenreaktion in Kraft, welche die Gnadenlosigkeit und die Dunkelheit der Welt offenbart. Wie schon bei der Figur des Frank in Pusher ist dieser Blick in den Abgrund der Auslöser für den Verlauf der Handlung, welche Kameramann Morten Søborg konsequenterweise mit immer düsterer anmutenden Bildkompositionen begleitet.
Selbstzerstörung und böses Blut
Am nächsten kann man das Kino Refns mit dem Frühwerk eines Martin Scorsese vergleichen. Das Bild des Blutes, visuell umgesetzt durch grelles, rotes Licht, sowie assoziativ, beispielsweise wenn Louise das Thema Abtreibung anschneidet, steht sinnbildlich für den Hang zur Selbstzerstörung von Refns Figuren. Ähnlich einem Travis Bickle in Taxi Driver definiert Leo und Lenny ein in mancher Hinsicht fataler Hang zur Zerstörung des eigenen Glücks und der Zukunft. Der fast schon hoffnungsvolle, sehr optimistische Beginn, begleitet durch die musikalischen Themen des Soundtracks von Peter Peter, wird immer konterkariert durch eine dunkle Note, ob in der Musik selbst oder im Bild. Der Weg der Figuren, ihre Veränderung ist immer begleitet von dieser Dunkelheit, ein Pfad, der, wie Louis an einer Stelle bemerkt, sich zwischen Kita und Friedhof abspielt.
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