Seit dem Mord an seiner Frau ist der Sicherheitsbeamte Harry (John Turturro) nicht mehr er selbst. Die Aufklärung des Mordes ist für ihn zu einer Obsession geworden: Jede freie Minute verbringt er damit, die Sicherheitsaufnahmen des Einkaufszentrums, in dem er arbeitet, von jenem schrecklichen Tag zu sichten, jedoch ohne Ergebnis. Beinahe hatte er die Hoffnung aufgegeben, als ihn ein Team des FBI mit neuen Fakten zu dem Fall konfrontiert, unter anderem mit einem verschwommenen Bild des Täters von einer der Überwachungskameras. Fest entschlossen, endlich Antworten auf seine Fragen zu erhalten, macht sich Harry selbst auf die Suche nach jenem Mann auf dem Foto und meint schließlich, auf eine Spur gestoßen zu sein, die ihn in ein verschneites Städtchen in Montana führt. Dort angekommen muss er feststellen, dass ihn seine Fragen nicht nur bei vielen Bewohnern der Stadt unbeliebt machen, sondern auch ins Fadenkreuz der örtlichen Polizei bringt, die mehr zu wissen scheint über seinen Fall, als sie Harry zunächst sagt.
Sog der Dunkelheit
Innerhalb der Karriere des dänischen Regisseurs Nicolas Winding Refn gebührt einem Werk wie Fear X aus vielerlei Gründen ein besonderer Platz. Drei Jahre sollte die Entwicklung dieses Films dauern, der Refn nicht nur näher wieder in die Nähe der Vereinigten Staaten bringen sollte, sondern zudem zu einer Kollaboration mit dem von ihm verehrten Autor Hubert Selby Jr. (Requiem For A Dream) führen sollte. Jedoch stand das Projekt unter keinem guten Stern, denn als Refn selbst für den Rest der Finanzierung aufkommen musste und sich Fear X als kommerzieller Flop entpuppte, brachen extrem schwierige Zeiten für ihn und seine Familie an. Außerdem musste Refns Produktionsfirma Jang Go Star Konkurs anmelden, eine schmerzliche Erfahrung, welche die dänische Regisseurin Phie Ambo in ihrer Dokumentation The Gambler zeigt.
Trotz dieses Hintergrundes sollte man keinesfalls den Fehler machen, Fear X auf dieser Basis zu bewerten oder gar als schlecht zu bezeichnen. Im Vergleich zu Refns Arbeiten in Dänemark mag gerade das Erzähltempo auffallen, das bedeutend gemächlicher ist als beispielsweise in Pusher, aber dafür ist Fear X auch ein wesentlich persönlicherer, dunklerer Film. Darüber hinaus bedient sich das Skript, an dem Refn zusammen mit Selby Jr. arbeitete, an Themen des film noir und den Erzählmustern eines David Lynch (Blue Velvet), wenn es darum geht, jenen Abgrund hinter der bürgerlichen Fassade zu zeigen.
Im Zentrum steht, wie bei so vielen Filmen des Dänen, eine Figur, die außerhalb der Gesellschaft steht oder sich entsprechend positioniert. John Turturro spielt einen Mann, hinter dessen bisweilen unbewegter Mimik sich eine tiefe Dunkelheit zeigt, eine unbequeme Art zu schauen, auf die gerade sein Umfeld mit großen Befremden reagiert. Harry ist ein Mensch, besessen von Bildern, immer auf der Suche nach einem Anhaltspunkt, einem bekannten Gesicht im Einkaufszentrum, in dem er arbeitet. Die kurzen Einblendungen alleine der Wohnzimmerwand, die er mit verschiedenen Haftnotizen, Ausdrucken und Zeitungsausschnitten tapeziert hat, geben Aufschluss auf diese akribische Obsession eines Menschen, der sich nur noch über diese Suche nach einer Nadel im Heuhaufen definiert. Wie Guy Peaces Leonard Shelby in Christopher Nolans Memento (2000) ist die Suche nach dem Mörder auch eine Suche nach einem Sinn, sowohl hinter der blutigen Tat, als auch dem eigenen Leben danach.
Puzzle ohne Lösung
Vor dem Hintergrund der kargen, verschneiten Landschaft des US-amerikanischen Nordens spielt sich die Geschichte Harrys von seiner Suche ab. Jedoch bricht der Film immer wieder jene Ebene der Realität auf, verwischt die Grenzen zwischen dieser Wirklichkeit und dem Traum, sodass auch der Zuschauer jene tiefgreifende Unsicherheit in der Hauptfigur nachempfinden kann. Etwas unsauber wirkt da nur der Perspektivwechsel zu einer anderen Figur, deren Dilemma ähnlich gelagert ist wie Harrys. Dennoch ist dieser Bruch abrupt und wenig organisch innerhalb der Erzählung.
Die sich zuspitzende Handlung, der immer wieder starke Kontrast zwischen jener Tristesse hin zu den starken Farben, besonders in Innenräumen, verstärkt jenes Gefühl der emotionalen und räumlichen Verunsicherung. Immer wieder vermischt das Skript zudem die Zeitebenen zwischen Harrys Erinnerung, seiner Gegenwart und seiner durch tiefe Trauer geprägte Wahrnehmung. Turturros starker Auftritt in Fear X erhebt seine Suche zu einer Flucht vor einem Eingeständnis, einer Betonung der eigenen Sinnlosigkeit, einem existenziellen Dilemma.
(Anzeige)