Mit Die Welt der Drogen: Dope Stories und Bikram: Yogi, Guru, Raubtier köderte Netflix zuletzt wieder die Fans von True Crime Dokus. Doch so furchtbar Drogen und Vergewaltigungen sind, die Königsdiziplin ist für ein solches Publikum dann immer noch der Mord. Geschichten von Menschen, die andere getötet haben, ziehen dann doch am besten, vor allem wenn damit auch noch ein gewisses Maß an Ungewissheit verbunden ist. Doku-Serien wie Wer hat den kleinen Grégory getötet? erfreuen sich nicht zuletzt deshalb großer Beliebtheit, weil man als Publikum selbst viel spekulieren darf, wer denn nun wirklich hinter dem ungelösten Verbrechen stand.
Zum Teil darf man das bei Geständnisse eines Mörders genauso, dem neuesten Zugang im Netflix-Schauerkabinett. Und doch ist die Geschichte von Henry Lee Lucas anders als die anderer True Crime Dokus. Dass der US-Amerikaner Leute auf dem Gewissen hat, das steht außer Frage. Zumindest bei seiner Mutter war der Fall klar, weswegen er auch Jahre im Gefängnis verbrachte. Er gab offen zu, sie getötet zu haben, selbst wenn die Umstände Fragen aufwarfen. Das Problem waren eher die anderen Morde, die er offen zugab. Und das waren nicht wenige, etwa 600 will er begangen haben, in etwa acht Jahren.
Und was ist mit den anderen 100 Morden?
Das ist eine beachtliche Zahl. Und eine völlig erfundene noch dazu. Wenn Henry Lee Lucas in den USA einer der berühmtesten Serienmörder ist, dann nicht wegen der Anzahl seiner Opfer. Vielmehr nahm er für sich in Anspruch, zahlreiche Verbrechen begangen zu haben, mit denen er gar nichts zu tun hatte. Das klingt erst einmal absurd: Wenn jemand ein verbrechen begeht, versucht er normalerweise alles abzustreiten. Warum sollte jemand freiwillig etwas gestehen, das er gar nicht getan hat? Erzwungene Geständnisse mag es geben, auch in den USA. Sicher jedoch nicht in diesem Umfang.
Geständnisse eines Mörders ist deshalb auch nur zeitweise damit beschäftigt, Morde aufklären zu wollen. Das geschieht vor allem zum Ende hin, wenn beispielsweise neue Untersuchungsmethoden ergeben, dass einige der Taten, die Lucas für sich in Anspruch nahm, gar nicht so möglich waren. Bei anderen Fällen hätte der gesunde Menschengeist ausgereicht, um zu erkennen, dass diese Geschichten einfach nicht stimmen können. Die Dokuserie erzählt chronologisch von den ersten Geständnissen bis zu späteren Zweifeln, die aufkamen, geht dabei vor allem der Frage nach, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass Hunderte von Verbrechen einem Mann zugestanden wurden, der zumindest in der Hinsicht unschuldig war.
Geständnisse aus den falschen Gründen
Zum einen war es Lucas selbst, der dies so wollte. Seine kooperative Art brachte ihm diverse Bonuspunkte und Hafterleichterungen. Außerdem, so wird zumindest spekuliert, genoss er die Aufmerksamkeit, die eine solche unerhörte Mordserie mit sich bringt. Das ist abscheulich, jedoch noch einigermaßen zu verkraften. Schockierender ist da die Arbeit der Polizei und der Justiz, die Lucas missbrauchten, um möglichst viele Fälle abschließen zu können. Deren Ziel war nicht die Aufklärung der Verbrechen, sondern eine hohe Erfolgsquote. Selbst als klar wurde, dass da vieles nicht mit rechten Dingen vor sich ging, schaute man lieber weg, viele bestreiten bis heute, dass sie etwas falsch gemacht haben. Mit dem Ergebnis, dass die eigentlichen Täter noch immer auf freiem Fuß sind.
Geständnisse eines Mörders funktioniert deshalb am besten als Einblick in ein marodes System, das sich nicht für die Wahrheit interessiert, von den Opfern ganz zu schweigen. Vielmehr ist es das Streben nach Macht und Ruhm, verbunden mit einer gewissen Bequemlichkeit, die zu bizarren Rechtsverdrehungen führt. Als solches Porträt ist die Dokuserie sehenswert. Richtig viel Spannung sollte man aber nicht erwarten. Zum einen besteht ein Großteil des Geschehens aus Interviews, was auf Dauer etwas wenig ist. Und auch inhaltlich geht es irgendwann nicht mehr wirklich weiter. Dass Lucas die Morde anderer gestanden hat, das wird früh klar gemacht, ebenso was das bedeutet. Danach stockt die Entwicklung jedoch lange, bis die nächsten einschneidenden Ereignisse und Wendepunkte kommen, muss man sich ziemlich gedulden. Fünf Folgen à 45 Minuten hätte es dafür dann doch nicht gebraucht. Wer sich aber nicht an solchen Redundanzen stört, bekommt hier eines der interessanteren Netflix-Verbrechen der letzten Zeit.
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