Jeannette Die Kindheit der Jeanne d'Arc
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Jeannette – Die Kindheit der Jeanne d’Arc

Kritik

Jeannette die Kindheit der Jeanne d'arc
„Jeannette – Die Kindheit der Jeanne d’Arc“ // Deutschland-Start: 25. Dezember 2019 (Kino)

Krieg, Krieg und nichts als Krieg. Seit die achtjährige Jeanette (Lise Leplat Prudhomme) zurückdenken kann, kämpfen schon die Engländer gegen die Franzosen und die Franzosen gegen die Engländer. Und es wird immer schlimmer, das Leid der Bevölkerung geht dem Mädchen sehr nahe, weshalb es unentwegt Trost und Rat bei Gott sucht. Doch der schweigt, auch Jahre später weiß sie nicht, weshalb der Allmächtige diese Not zulässt. Und so beschließt die inzwischen zu einer Jugendlichen herangewachsene Jeannette (Jeanne Voisin), die Sache selbst in die Hand zu nehmen und Frankreich aus den Klauen des Feindes zu befreien …

In Zeiten nationaler Rückbesinnung suchen die Leute nach eindeutigen Helden. Jeanne d’Arc ist in der Hinsicht eigentlich prädestiniert für große Symbolik, sieht man einmal von dem Makel ab, dass sie eine Frau war, was bei Traditionalisten oft mit Menschen zweiter Klasse gleichzusetzen ist. Immerhin, eine Frau ist immer noch besser als ein Ausländer. Und wenn es eine Frau ist, die besagte Ausländer aus dem Land wirft, dann zieht auch schon mal der rechte Stammtischpöbel seinen Hut. Der Feind deines Feindes ist schließlich dein Freund. Und so lange die Frau jung und hübsch ist, drückt man auch schon mal ein Auge zu, während das andere mit ein bisschen Gaffen beschäftigt ist.

Schöne Bilder, schräge Musik
Gaffen kann man bei Jeannette – Die Kindheit der Jeanne d’Arc mehr als genug, die Augen bekommen hier über 100 Minuten lang jede Menge zu tun. Das betrifft aber weniger die jungen Damen und Mädchen, die hier hauptsächlich im Mittelpunkt stehen. Die sind zwar überaus adrett und gut verkäuflich, selbst an Frauenhasser. Der eigentliche Höhepunkt sind aber die Landschaften. Viel Variation gibt es dabei sicher nicht, der Film spielt an nur wenigen Schauplätzen, die wir wieder und wieder besuchen, was die eingeblendeten Zwischentitel auch schön betonen. Doch die kleinen Dünen und Wasserläufe sind so idyllisch, dabei so wunderbar als Bilder durchkomponiert, dass einem die mangelnde Abwechslung nicht sonderlich negativ auffällt.

Zumal es die Ohren sind, die hier besonders gefordert sind. Regisseur und Drehbuchautor Bruno Dumont (Die feine Gesellschaft) inszenierte die Jugendjahre der späteren Nationalheldin nicht als herkömmliches Biopic oder Historiendrama, sondern als Musical. Auch das kommt bei geschichtlichen Stoffen schon mal vor, Les Misérables wurde vor einen Jahren sogar ein richtig großer Kassenerfolg. Das basierte allerdings auf einem etablierten Bühnenstück mit lauter gefälligen Liedern. Dumont wiederum vertraute die musikalische Untermalung dem Tausendsassa Igorrr an, der in seinen Werken Pop, Elektro, Metal und beliebige andere Stilrichtungen zusammenmixt. Entsprechend eigenartig ist das Ergebnis im filmischen Umfeld, wenn Jeannette alles Mögliche kombiniert, ohne dass das irgendwie passen würde.

Moment, was macht ihr da??
Das ist manchmal überaus lustig. Wenn gerade große spirituelle Fragen diskutiert wurden, nur um im Anschluss Mädchen und Nonnen zu Metal-Klängen headbangen zu sehen, dann ist das im ersten Moment so überraschend, dass Lachen die einzig plausible Reaktion ist. Neben ungläubigem Starren natürlich. Vielleicht auch Ärger, wenn die besagten Nationalhelden-Bedürftigen so offensichtlich vorgeführt werden. Ob Dumont an diese gedacht hat, als er seinen Film drehte, das ist natürlich Spekulation. So richtig schlau wird man so oder so nicht daraus, was der Franzose genau hiermit vorhatte. Denn irgendwie ist Jeannette alles und nichts, komisch, aber keine Komödie, ernst, aber kein Drama, geschichtlich, aber kein Historienfilm. Man ist sich ja nicht einmal sicher, ob das hier überhaupt noch als Film durchgeht oder nicht doch einfach ein Experiment ist.

Dazu gehört auch, unerfahrenen Laiendarsteller*innen die Bühne zu überlassen. Oder den Sandhügel, der zur Bühne umfunktioniert wurde. Wenn die Darstellungen nicht unbedingt die glaubhaftesten sind, ist das keine Überraschung, da wirkt so manch einer, als hätte er bzw. sie das erste Mal eine Kamera gesehen. Auch bei den Gesangseinlagen schwankt die Qualität beachtlich, von beeindruckend zu irritierend – wobei nicht klar wird, ob es das jeweilige Talent oder die Vorlage ist, die derart unharmonische Tonfolgen mit sich bringt. Jeannette – Die Kindheit der Jeanne d’Arc, das während der Directors’ Fortnight in Cannes 2017 Premiere feierte, ist eine unwirkliche Mischung aus Kunstfertigkeit und Dilettantismus, aus Nachdenklichkeit und Posse und damit ein ebenso bizarres Musical-Erlebnis ist wie das bei uns zeitgleich gestartete Cats. Ein Erlebnis, das auf seine Weise unvergesslich ist, auch wenn die zeitweilige Begeisterung schnell in Müdigkeit wechselt, denn so bewundernswert der Mut von Dumont ist, so anstrengend ist der Film auch.

Credits

OT: „Jeannette, l’enfance de Jeanne d’Arc“
IT: „Jeannette, the Childhood of Joan of Arc“
Land: Frankreich
Jahr: 2017
Regie: Bruno Dumont
Drehbuch: Bruno Dumont
Vorlage: Charles Péguy
Musik: Igorrr
Kamera: Guillaume Deffontaines
Darsteller: Lise Leplat Prudhomme, Jeanne Voisin, Lucile Gauthier, Victoria Lefebvre, Nicolas Leclaire

Bilder

Trailer

Filmfeste

Cannes 2017
Toronto International Film Festival 2017
Filmfest Braunschweig 2017
International Film Festival Rotterdam 2018
SXSW 2018
Locarno 2018



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Ein Musical über die Jugendjahre der französischen Nationalheldin? Das klingt interessant. „Jeannette – Die Kindheit der Jeanne d’Arc“ ist das auch, zugleich jedoch anstrengend, wenn wunderbare Bilder auf bizarre Musik stoßen, Kunstfertigkeit auf Dilettantismus, Humor auf tiefgründige spirituelle Fragen.
6
von 10