Der Titel mag irgendwie lustig klingen. Dabei erzählt Der Club der singenden Metzger eine überaus tragische Geschichte: Ein junger Mann kehrt traumatisiert aus dem Ersten Weltkrieg zurück und sieht in seiner Heimat keine Zukunft mehr. Also versucht er sein Glück in den USA, wo er in der Tradition seiner Familie einen Metzgerbetrieb aufbauen will. An seiner Seite: Die Frau seines gefallenen Freundes, die er aus Verantwortungsbewusstsein geheiratet hat. Nachdem das historische Drama auf dem Filmfest München 2019 Weltpremiere hatte, erfolgt am 27. Dezember 2019 die TV-Ausstrahlung, am 9. Januar 2020 erscheint der Zweiteiler auf DVD. Wir haben Hauptdarsteller Jonas Nay bei der Premiere getroffen und ihn zu seinen Erfahrungen befragt, was er aus den Dreharbeiten mitgenommen hat und was wir selbst lernen können.
In Der Club der singenden Metzger spielst du einen Mann, der nach dem Ersten Weltkrieg in die USA auswandert. Kanntest du den Roman von Louise Erdrich, auf dem der Zweiteiler basiert?
Nee. Ich habe zuerst die Drehbücher gelesen und dann den Roman. Ich hatte auch zuvor noch nichts von Louise Erdrich gelesen. Letztendlich muss ich sagen, dass mir die Drehbuchfassungen von Doris Dörrie tatsächlich besser gefallen haben als der Roman. Aber er war danach schon noch schönes Futter für die Charaktere. Die Drehbücher unterscheiden sich auch sehr im Vergleich zum Roman, allein schon weil wir eine sehr viel kürzere zeitliche Episode erzählen. Da ist alles ein bisschen dichter. Der Roman ist auch gar nicht so leicht in einem filmischen Stoff umzusetzen, fand ich, als ich ihn gelesen habe.
Gelesen hast du ihn dann aber noch vor dem Dreh?
Klar.
Es gibt auch Schauspieler, die sich bewusst dagegen entscheiden, einen Roman bei der Verfilmung zu lesen, weil sie sich nicht davon beeinflussen lassen wollen.
Nee, ich finde es schon immer spannend zu sehen, was einmal die Vision des Autoren gewesen ist, zumal Erdrich hier auch ihre Familiengeschichte verarbeitet hat.
Was hat dich überhaupt an der Geschichte gereizt?
Die Filme haben die Möglichkeit, einen Spiegel für die moderne Zeit darzustellen für Wirtschaftsflüchtlinge in jeglicher Form und dem Zuschauer immer wieder vor Augen zu führen, dass unsere eigenen Familien vielleicht selbst einmal Flüchtlinge waren. Dass es auch nicht ausgeschlossen ist, dass wir vielleicht selbst in ein paar Jahren in eine solche Situation kommen. Bei meiner Großmutter war es so, dass sie sehr viele Tanten hatte, die alle nach Amerika gegangen sind, ein bisschen später als die Figuren in Der Club der singenden Metzger. Dadurch ist das kein rein historischer Stoff für mich. Das ist es dann auch, was mich gereizt hat, weil du auf diese Weise eine schöne emotionale Verbindung zu den Charakteren kriegst.
Und wie sieht es mit deiner Rolle aus?
Die ist extrem vielschichtig: Fidelis kommt traumatisiert aus dem Krieg zurück, findet keinen Platz mehr in seiner Familie, hat aber diesen Wunsch, sich ein völlig neues Leben aufzubauen und immer wieder aufzustehen. Dieses Verantwortungsbewusstsein hat er auch einer Frau gegenüber, welche er zu Hause angekommen sofort heiratet, weil sie die Witwe seines verstorbenen besten Freundes ist. Das war eine Konstellation, die mich sehr interessiert hat. Wie schafft es ein Charakter damit umzugehen? Zugleich trägt Fidelis einen wahnsinnigen Optimismus in sich. Das auszufüllen, hat mich viel kreative Energie gekostet und sehr viel Spaß gemacht. Generell habe ich bei den Dreharbeiten und auch in der Vorbereitung viel gelernt.
Zum Beispiel?
Ich habe in einer Metzgerei einen intensiven Workshop über Wochen gemacht, um in das traditionelle Handwerk hineinzuschnuppern und Schweinehälften noch per Hand zu zerlegen. Das hat mir einen großen Respekt vor dem Handwerk eingeflößt, und auch vor den Tieren an sich. Ich bin kein Vegetarier. Aber die Erfahrung hat schon zu einem größeren Bewusstsein geführt, wenn ich Fleisch konsumiere. Ich hab wirklich viel mitgenommen sowohl aus der Produktion wie auch der Vorbereitungszeit.
Unter anderem, dass du jetzt Schwäbisch sprichst …
Stimmt, das war auch noch eine Ebene. Ich habe mir dafür einen Sprachcoach gesucht, genauer Gabriele Rossmanith, eine Hamburger Opernsängerin, weil die fließend Schwäbisch spricht und als Opernsängerin auch Zugang zu dramatischen Texten hatte. Mit ihr habe ich ganz intensives Coaching gemacht, schon fürs Casting, weil ich als Nordlicht gar nicht erst zum Casting eingeladen werden sollte. Aber ich habe die Produktion gebeten, mir wenigstens eine Chance zu geben. Und das haben sie. Die Casterin selbst war auch noch Schwäbin, und die hat mir das abgekauft. Uli Edel, der Regie geführt hat, ist zwar kein Schwabe, sondern Badenser, wie er sagt. Er konnte das aber mit Sicherheit sehr gut beurteilen. Dann hatte ich das gewisse Quäntchen Motivation und Selbstbewusstsein, um das durchzuziehen. Auf Schwäbisch vor mich hinreden, könnte ich zwar immer noch nicht, aber wenn man ein Drehbuch hat und klare Sätze, dann geht das. Wobei ich oft aus Kroatien per WhatsApp mit Gabi gesprochen habe, wenn ich noch Rat brauchte oder sie mir vorsprechen sollte, wie das klingt. Das war dann die Infrastruktur, die ich mir so aufgebaut hatte. Und jetzt bin ich gespannt, wie das vom Publikum angenommen wird.
Wie lange hast du darauf hintrainiert?
So genau weiß ich das gar nicht mehr, es ging aber schon eine ganze Weile. Ich bin dann zwei, drei Mal die Woche nach Hamburg gefahren und habe für mehrere Stunden geübt.
Wie lange ging das Projekt denn insgesamt?
Wir haben drei Monate am Stück in Kroatien gedreht, in der zweiten Hälfte des letzten Jahres. Und bis zum Juni 2019 habe ich an der Musik komponiert.
Du hast ja auch selbst Musik studiert.
Stimmt. Ich habe zuerst ein privates Studium gemacht und durchgezogen, da kriegt man am Ende so ein Jodeldiplom. Aber ich habe sehr sehr viel gelernt dabei. Ich studiere jetzt noch Jazz Piano im Bachelor of Arts, bin also noch auf dem musikalischen Weg dieses Studiums geblieben. Nach meinem Studium habe ich erst einmal einen Stummfilm vertont für die UFA Filmnächte damals. Das war mein erster Auftrag. Dann einen Sat1 Film gemacht, danach noch andere Titel. Ich mache das alles mit meinem Kompositionspartner David Grabowski, der auch Gitarrist in meiner Band Pudeldame ist. Der Club der singenden Metzger ist aber der erste eigene Film, zu dem ich Musik gemacht habe, was noch einmal etwas ganz anderes ist. Das war eine sehr tolle inspirierende Zeit.
In dem Film werden zwangsläufig ältere Lieder gesungen. Sind das Sachen, die du früher auch selbst gesungen hast, als du noch in deinem Knabenchor warst?
Eher nicht. Es gibt vielerlei Kompositionen für Orchester und Knabenchor oder auch a-cappella Werke, besonders aus der Barockzeit: Messen, Passionen, Motetten… Volksliedergut haben wir eher weniger gesungen.
Werden die heute überhaupt noch gesungen? Ich kannte sie zwar, konnte mir das aber nicht wirklich vorstellen.
Ich kannte sie auch noch, zum Teil zumindest. Ob das noch praktiziert wird, weiß ich gar nicht. Bestimmt irgendwo. Aber es liegt dem glaube ich eine große Realität inne, dass Auswanderer sich zusammen getroffen haben und diese Musik wieder haben aufleben lassen als Verbindung zu ihrer Heimat. Ich mochte das auch sehr, die Art und Weise, wie das umgesetzt wurde. Wir haben die Lieder vorher schon im Studio mit den Schauspielern und mit ein bisschen Unterstützung von den Sängern aus dem Rundfunkchor aus Berlin aufgenommen. Bevor wir die erste Szene gedreht hatten, hatten wir schon die meisten Aufnahmen. Beim Drehen haben wir dann aber oft gemerkt: Irgendwie ist die Aufnahme in einem anderen Gefühl entstanden oder in einem anderen Timing. Da haben wir dann doch live gesungen. Aber zumindest hatten wir auf diese Weise eine intensive Probenphase. Ich mochte das auch, weil das dadurch immer so eine bestimmte Roughness hatte und keine perfekt produzierten Chorgesänge waren. Einfach ein paar Typen, die keine professionellen Sänger sind, die zusammenkommen und voller Inbrunst ihr Liedgut singen, um irgendwie ihr Heimweh zu zelebrieren.
Du bist ja selbst recht heimatverbunden, wie ich weiß. Könntest du dir trotzdem einmal vorstellen, wie deine Figur ganz woanders hinzugehen?
Meine Figur hat natürlich auch einen ganz anderen Druck als Wirtschaftsflüchtling in den 20ern. Er kommt aus dem Ersten Weltkrieg zurück und findet keinen Platz mehr in seiner Metzgersdynastie. Er sieht keinen anderen Ausweg mehr, als ein komplett neues Leben zu starten. Es war damals in einem kriegszerstörten, traumatisierten Land nicht einfach und es gab diesen Traum oder das Gerücht, dass man in der neuen Welt ein neues Leben aufbauen kann. Ich persönlich bin zur Zeit sehr glücklich in meiner Heimat. Außerdem bringt es mein Job mit sich, was ein großes Privileg ist, dass ich ohnehin sehr viel unterwegs bin und neue Welten sehen darf. In Kroatien war ich wie gesagt drei Monate am Stück. Vorher war ich mehrere Monate in Südafrika. In Prag bin ich auch viel, weil dort viel produziert wird. Ich habe wenn dann eher schon Heimweh, was mich dann auch mit meiner Figur verbindet. Fidelis trägt den gesamten Zweiteiler ein Heimweh mit sich herum, obwohl er sich dort ein tolles Leben aufgebaut hat. Ich bin jemand, der wenn er lange von zu Hause weg ist, extremes Heimweh kriegt. Deswegen glaube ich nicht, dass ich jemals an dem Punkt ankomme, dass ich wirklich weg will, obwohl ich sehr interessiert an fremden Kulturen und Sprachen bin. Ich hab schon an der Schule das Maximum an Fremdsprachen ausgeschöpft.
Hinzu kommt, dass du mit deiner Band vermutlich auch noch gut unterwegs ist.
Das auch. Derzeit produzieren wir unser erstes Album in Köln. In 2020 geht es auf Deutschlandtournee. Tendenziell ist aber die Band auch etwas, das mich zusätzlich an die Heimat bindet, weil wir in Lübeck und Hamburg proben.
Wie viel von deiner Zeit geht eigentlich für Musik drauf, wie viel für die Schauspielerei?
Fifty fifty würde ich sagen. Dadurch dass ich noch studiere, entscheide ich meist pro Semester, ob ich Musik studiere oder drehe. Das teilt das Jahr ja schon durch zwei. Wenn ich mich entscheide zu studieren, mache ich meistens auch Filmmusik und Musik mit der Band. Und wenn ich drehe, dann war das in der letzten Zeit so einnehmend, dass ich nebenher gar nichts groß anderes machen könnte. Das einzige, was ich dann noch mache, ist mich abends hinzusetzen mit der Gitarre oder dem Klavier und Texte zu schreiben. Das mache ich dann, um noch mal den Kopf zu lüften.
Die Musik schreibt ihr dann aber zu zweit?
David, unser Gitarrist, ist das musikalische Zahnrad, welches den Motor ein bisschen antreibt. Meine Wenigkeit eher so fürs Textliche. So richtig finden tut sich das dann aber eh erst, wenn wir zusammenkommen. Da entsteht dann viel erst im Studio oder im Proberaum.
Bei dieser Doppelbelastung von Film und Musik, bleibt da überhaupt noch Zeit für ein Privatleben?
Doch, total. Aber das lässt sich nicht immer so richtig trennen. Die Jungs aus meiner Band – inklusive unseren Tonmann Nico – kenne ich schon seit der Schulzeit und sie sind auch meine besten Freunde. Dann habe ich noch meinen Handballverein, der ist auch in Lübeck.
Das machst du auch noch?
Absolut. Ich bin erfolgreicher Amateur-Handballer! Meine Familie wohnt dann auch im Norden, mein Bruder lebt in Hamburg, meine Schwester in Berlin. Da bin ich ja auch oft. Meine Mutter in Kiel. Mein Vater in Lübeck. Insofern: Doch, das ist immer drin! Mein Studium ist ja auch noch Privatleben, wenn man so will. So richtig trennen lässt sich das bei mir wie gesagt nicht. Ich trete nur dann wirklich aus dem Privatleben aus, wenn ich drehe. Ich bin auch niemand, der morgens zum Set geht und den Text kann, bis zum Drehtagende arbeitet und dann wieder privat wird. Ich bin eher die Fraktion Workaholic und arbeite sehr viel inhaltlich und das tendenziell auch bis spät in die Nacht. So richtig abschalten kann ich da nie. Dann bin ich also wirklich in so einem Tunnel, wo nicht viel Platz für Privates ist. Aber ich finde das schön, ich mag diesen Tunnel, diesen Mikrokosmos mit tausend kreativen Köpfen, die alle eine andere Agenda haben, sich dann aber doch wieder für das eine Projekt wieder treffen.
Du bist inzwischen ja auch schon ein wenig bekannter geworden. Hat das Auswirkungen auf dein Privatleben? Wirst du zum Beispiel beim Handball oder beim Studium darauf angesprochen?
Das Studium ist in der Hinsicht natürlich schon noch mal etwas anderes, weil dort lauter junge Menschen sind, die ein besonderes kreatives Eigenleben haben, oft als Musiker bei erfolgreichen Acts mitarbeiten. Die bewegen sich ja auch im weitesten Sinne in so einem Showbereich. Ich habe das Gefühl, das mischt sich dann ganz gut. Da ist man nur eine spannende Geschichte von vielen. Da fällt man nicht so als Paradiesvogel auf. Dort bin ich einfach nur Student, was ich mag. Würde ich jetzt BWL studieren, wäre das sicher anders. Der Handballverein ist da schon eine andere Welt. Da bin ich auch der einzige, der aus dem Kulturbereich kommt. Aber die meisten Leute kennen mich da schon ewig. Ich spiele in dem Verein, seit ich vier Jahre alt bin, weswegen die meinen beruflichen Werdegang mitgekriegt haben. Das funktioniert dann eher auf einer ironischen Ebene. Die nennen mich beispielsweise Scarlett, nach Scarlett Johansson. Und dann kommen auch schon mal Sprüche wie: „Hey, lass sein Gesicht in Ruhe, das braucht er noch“. Das ist sehr lustig und angenehm, weil das nicht so ernst genommen wird. Ich bin da der kleine Jonas, der irgendwie immer der Kleinste in der Herrenmannschaft bleiben wird. Mein Bruder hat dort gespielt, mein Vater auch. Das ist also schon so etwas wie eine Familie für mich.
(Anzeige)