Menschsein
© Dennis Klein

Menschsein

Menschsein
„Menschsein“ // Deutschland-Start: 3. Dezember 2019 (Kino)

Was genau macht einen Menschen eigentlich zu einem Menschen? Ist es das Aussehen? Das Verhalten? Genetik? Eine wirkliche Definition ist schwierig, die meisten dürften ganz eigene, meist eher diffuse Vorstellungen davon haben, was letztendlich dazugehört. Vorstellungen, die beim Kontakt mit anderen Menschen schon einmal in Frage gestellt werden. Ist ein Mensch mit nur einem Bein beispielsweise weniger Mensch als einer mit zwei Beinen? Allein die Frage hört sich schon absurd an, ist aber deutlich realistischer, als man auf Anhieb meinen möchte. Denn Menschen mit Behinderung gelten für viele dann doch als Menschen zweiter Klasse, selbst wenn sie das nicht offen zeigen.

Ein bisschen liegt es aber natürlich auch in unserer Natur, dass Abweichungen von dem, das wir kennen, uns beunruhigen. Und so sind Diskriminierungen selbst im Jahr 2019 keine Seltenheit. Ob es nun die Hautfarbe ist oder die sexuelle Orientierung, politische Ansichten oder körperliche Auffälligkeiten, was anders ist, wird anders behandelt. Das muss gar nicht zwangsweise aus böswilliger Absicht heraus geschehen. Dennis Klein beispielsweise hatte als Junge immer Angst vor Menschen mit Behinderung, weil die nicht ganz in sein kindlich-heiles Weltbild passten. Wie auch, wenn solche Menschen selten Teil unserer Erfahrungswelt sind? Wer sie nicht gerade beruflich oder privat in seinem Umfeld hat, wird ihnen eher selten begegnen, selbst hierzulande ist Inklusion ein Wort, das auf Agenden steht, mit Alltag aber wenig zu tun hat.

Allein durch eine diskriminierende Welt
Klein jedoch wollte sich, inzwischen erwachsen und als Realschullehrer tätig, nicht länger damit zufriedengeben. Also reiste er um die Welt, seine Kamera im Gepäck, traf Menschen mit Behinderungen und nahm ihre Geschichten auf. Ursprünglich hätte daraus nur ein YouTube-Video werden sollen. Eine Zufallsbegegnung mit Schauspieler Frederick Lau (Victoria, Das perfekte Geheimnis) an einem Bahnhof in Vietnam führte dazu, dass es doch mehr wurde. So schloss sich später Regisseur Oliver Stritzke an, aus dem recht zufällig zusammengestellten Material wurde ein Dokumentarfilm, der am 3. Dezember, dem internationalen Tag der Menschen mit Behinderung, sogar ins Kino kommt.

Trotz des später professionalisierten Umfelds des Materials: Dass am Anfang eine nicht-professionelle Herangehensweise stand, das merkt man Menschsein natürlich schon an. Der Dokumentarfilm ähnelt dabei den unzähligen Reisedokus, die inzwischen in unseren Kinos laufen. Nur dass die Weltreise von Klein eben nicht das Ziel hatte, fremde Orte kennenzulernen. Er interessierte sich mehr für die Menschen an diesen Orten, wollte wissen, wie die Leute auf Behinderungen reagieren. Die Antwort lautet erwartungsgemäß: nicht gut. In 23 Ländern war Klein unterwegs, Diskriminierung gab es praktisch überall.

Alle anders, alle gleich
Dabei sind die Behinderungen selbst sehr unterschiedlicher Natur. Mal ist es ein Bein, das fehlt, andere können sich gar nicht bewegen. Vielleicht ist die Sprache beeinträchtigt, das Hören. Eine Einschränkung sind diese Besonderheiten aber immer, sowohl für sich genommen wie auch durch den Kontakt mit Menschen, die im besten Fall kein Interesse haben, oft das Leben noch ein bisschen schwieriger machen wollen, als es ohnehin schon ist. Die Geschichten, die Klein von seiner Reise mitgebracht hat, machen dann auch oft traurig oder wütend, zeigen auf, dass Diskriminierung in allen Kulturen vorkommt, selbst wenn sie dabei unterschiedliche Formen annimmt. Gleichzeitig will Menschsein aber auch ein bisschen Mut machen, durch positive Beispiele von Inklusion und den damit verbundenen Appell, diese Schritte weiterzugehen.

Dieser Appell ist manchmal ein wenig unbeholfen, führt beispielsweise zu Redundanzen, wenn Klein dieselben Fragen wieder und wieder stellt. Wenn versucht wird, aus den einzelnen Geschichten etwas Größeres zu machen und Universelles abzuleiten. An diesen Stellen muss man sich doch daran erinnern, dass Menschsein trotz der späteren Bearbeitung nicht das Werk eines Filmemachers ist. Andererseits hat diese Unbeholfenheit auch ihren Charme, wird von dem echten Willen des Reisenden getragen, etwas für die Leute zu tun. Zumal sich Klein auch immer bewusst ist, dass sein Wirken gut gemeint ist, aber nicht zwangsläufig gute Ergebnisse mit sich bringt. Ein kleiner Denkanstoß sind die vielen Erzählungen aber so oder so, eine Aufmunterung sich für Leute zu öffnen, die anders sind, und keine Angst mehr vor ihnen zu haben.



(Anzeige)

„Menschsein“ zeigt auf, wie in 23 verschiedenen Ländern auf Menschen mit Behinderung reagiert wird. Der als reines Laienwerk gestartete Dokumentarfilm ist manchmal etwas unbeholfen, aber gleichzeitig ein charmantes und wichtiges Plädoyer dafür, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, mit dem zu wenige etwas zu tun haben und das weltweit zu Diskriminierungen führt.