Sonderlich gut war das Verhältnis von Mike (John Patrick Amedori) zu seinem Vater Michael (Ray Wise) nie. Eigentlich war er sogar froh, den alten Mann nicht mehr sehen zu müssen, der ihn früher brutal verprügelte und auch sonst das Leben schwer machte. Doch nun geht es mit Michael langsam zu Ende: Bewegen kann er sich kaum noch, zudem leidet er an einer fortgeschrittenen Demenz. Und so erklärt sich Mike bereit, zusammen mit seiner Frau Sarah (Madeline Zima) wieder ins alte Familienhaus zu ziehen und seine Mutter (Adrienne Barbeau) zu unterstützen. Der eigentliche Schock kommt jedoch, als er erfährt, dass er an derselben neurologischen Krankheit wie sein Vater leidet. Da eine Heilung nicht in Sicht ist, lässt er sich auf einen Deal mit der seltsamen Gruppe Chain ein. Die verspricht ihm, ihm sein Leben zu nehmen. Doch dafür muss er erst selbst jemanden töten …
Eine Zeit lang warten spanische Thriller der letzte Schrei, Filmemacher wie Oriol Paulo (The Body – Die Leiche, The Body – Die Leiche) und Alberto Rodríguez (Mörderland – La Isla Mínima) sorgten weltweit mit vertrackten, düsteren Werken für mächtig Stimmung. Inzwischen ist es aber wieder ruhiger geworden, nur dann und wann findet überhaupt noch einmal ein Werk seinen Weg hierher. Neuester Aspirant ist David Martín Porras, der nach diversen Kurzfilmen und einem Ausflug ins TV-Geschäft mit The Chain – Du musst töten um zu sterben seinen ersten „richtigen“ Film vorlegt. Die spanischen Wurzeln sind angesichts der durchgängig US-amerikanischen Besetzung aber kaum mehr zu erkennen, selbst wenn Amedori mit seinem Rauschebart teilweise Mario Casas schon sehr ähnlich sieht.
Der schicke Albtraum
Die Optik ist aber ohnehin nicht das Problem von The Chain. Da Mike, in die Fußstapfen seines Vaters folgend, zunehmend die geistigen Fähigkeiten verliert, erlaubt das Porras, der auch die Idee zur Geschichte hatte, ein paar visuelle Spielereien einzubauen. Die können manchmal leicht surreal sein, alternativ auch einfach stylisch. So oder so: Es macht Spaß dabei zuzusehen, wie der Mann durch die Gegend läuft, sich irgendwann von allen und jedem verfolgt fühlt und nicht mehr so genau weiß, was da eigentlich wirklich vor sich geht. Was steckt wirklich hinter dieser mysteriösen Gruppierung? Und was weiß sein Vater über die Sache? Dass dem alles zuzutrauen ist, das verraten schließlich ein paar Flashbacks, die uns die Hintergründe für das angespannte Verhältnis liefern.
The Chain wechselt auf diese Weise mehrfach hin und her, flirtet dabei mit mehreren Genres und Subgenres. Die familiäre Situation und dessen Aufarbeitung ist mehr im Drama zu Hause. Auch das Thema Selbstmord und Umgang mit Krankheit würde das nahelegen. Im Vergleich zu darauf spezialisierten Filmen, etwa Hin und weg oder Und morgen Mittag bin ich tot, die sich mit dem für und wieder auseinandersetzen, bleibt das hier jedoch ziemlich an der Oberfläche. Stattdessen ist der Film lange ein Mystery-Thriller, wenn nicht ganz klar ist, ob die titelgebende Gruppe nicht doch etwas anderes in Schilde führt. Hinzu kommen ein paar Paranoia-Elemente, wenn der psychisch angeknackste Mike niemandem mehr vertraut.
Wo geht es hier weiter?
Dem Publikum geht es da ganz ähnlich. Gerade weil sich The Chain nicht konsequent für eine Richtung entscheidet, ist die Verwirrung mitunter größer – was teils natürlich beabsichtigt war, teils weniger. Gerade zum Ende hin, wenn sich die Ereignisse überschlagen, darf man, soll man überfordert sein mit dem Versuch, die verschiedenen verlorenen Fäden wieder aufzugreifen und zu durchschauen, was nun Wahrheit ist, was nicht. Denn Porras vertraut hier auf die klassische Technik, die Hauptfigur zwar zur Identifikationsfigur zu machen, sie gleichzeitig aber sehr unzuverlässig zu gestalten. Denn so nett Mike anfangs auch erscheint: Wer seine eigene Gedankenwelt und Wahrnehmung nicht im Griff hat, dem glaubt man nicht allzu viel.
Das ist dann alles schön und gut, die einzelnen Bestandteile sind bewährt. Und doch: Die ganz große Spannung kommt dabei nicht auf. Bis The Chain mal wirklich Fahrt aufnimmt, dauert es eine ganze Weile. Aber selbst dann wird nicht alles ausgenutzt, was dem Film zur Verfügung steht. Während beispielsweise das Verhältnis zwischen Mike und seinem Vater immer wieder in den Vordergrund rückt, sind die Frauen des Films – und von denen gibt es jede Menge – seltsam teilnahmslose Geschöpfe. Ray Wise macht als altes Ekel schon Spaß, keine Frage. Der Rest hat weniger zu tun. Ein ordentlicher Thriller ist das Werk des Spaniers, füllt eine bestimmte Lücke, die leider nur selten beachtet wird. Mit den Titeln seiner Landsmänner kann das Debüt von Porras aber nicht aufnehmen.
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