The Kindness of Strangers
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The Kindness of Strangers – Kleine Wunder unter Fremden

The Kindness of Strangers
„The Kindness of Strangers – Kleine Wunder unter Fremden“ // Deutschland-Start: 12. Dezember 2019 (Kino)

Inhalt / Kritik

Was zu viel ist, ist zu viel: Lange genug hat Clara (Zoe Kazan) mitangesehen, wie ihr gewalttätiger Ehemann die beiden gemeinsamen Söhne (Finlay Wojtak-Hissong, Jack Fulton) misshandelte. Und so schnappt sie sich das Auto und fährt mit ihnen nach New York City, in der Hoffnung, dort nicht gefunden zu werden. Doch das ist alles nicht so einfach wie gedacht. Wo soll sie nur hingehen, so ganz ohne Geld und Papiere? Zum Glück trifft sie während ihrer Odyssee immer wieder Menschen, die ihr unter die Arme greifen wie die Krankenschwester Alice (Andrea Riseborough), den Restaurantmanager Marc (Tahar Rahim) und dessen Kumpel John Peter (Jay Baruchel) oder auch Jeff (Caleb Landry Jones), der ständig seine Arbeit verliert und selbst ein bisschen Unterstützung gut gebrauchen kann …

Eröffnungsfilmen von Filmfesten kommt naturgemäß eine etwas größere Aufmerksamkeit zugute. Aus diesem Grund verlassen sich die Veranstalter gern auf solche Titel, die mit viel Prominenz angeben können und zudem Crowdpleaser-Qualitäten haben – das Publikum soll sich im Anschluss schließlich noch viele weitere Sachen anschauen. Bei The Kindness of Strangers – Kleine Wunder unter Fremden scheint beides auf den ersten Blick zuzutreffen, das 2019 die Berlinale eröffnete. Regisseurin und Drehbuchautorin Lone Scherfig ist etabliert, sie arbeitet mit einem prominenteren Cast zusammen. Außerdem handelt es sich um einen Film, bei dem eine Frau in Not von vielen Leuten Hilfe bekommt. Wer kann dazu schon nein sagen?

Ein Weihnachtsfilm ohne Weihnachten

Ein bisschen durfte man sich im Anschluss aber darüber wundern, warum denn da kein Kinostart kommt. Angekündigt war er zwar. Und doch sollte es mehr als zehn Monate dauern, bis The Kindness of Strangers auch in Kinos außerhalb Berlins zu sehen ist. Das hat durchaus seine Gründe. Wer nett ist, könnte den hier nennen: Der Film spielt in Manhattan in der Winterzeit. Das funktioniert zu Weihnachten natürlich besser als im Sommer. Zudem hat die Geschichte von Scherfig so besinnlich-versöhnliche Töne, als wäre sie eigentlich eine Weihnachtsgeschichte, nur ohne die entsprechende Musik und Deko. Die starke Verschiebung, so eigenartig sie einem zunächst erschien, sie ist durchaus zu begründen.

Weniger nette Kritiker dürfen aber auch anführen: The Kindness of Strangers ist kein besonders guter Film. Er ist zeitweise sogar richtig furchtbar. Möglich, dass der Verleih das selbst erkannte und deshalb hoffte, während der fröhlich-seligen Weihnachtstrunkenheit würde das weniger auffallen. Weihnachtsfilme müssen bekanntlich nicht gut sein, um ein Publikum zu finden. Sie müssen einen nur gut fühlen lassen. Aber auch das ist Scherfig nicht wirklich geglückt. Sicher, Clara hat das unverschämte Glück, in einer Großstadt gleich mehreren Fremden zu begegnen, die ihr unbedingt helfen wollen und dabei alles riskieren würden. Das sollte eigentlich ein Anlass sein, wieder an das Gute in den Menschen zu glauben. Der Film macht ja vor, wie das geht.

Und von welchem Planeten seid ihr so?

Das Problem dabei ist nur: Man nimmt so gut wie keiner Figur ab, dass sie ein Mensch ist. Man zweifelt sogar daran, dass Scherfig jemals einem Menschen begegnet ist, wenn das hier ihre Schlussfolgerung ist. Dabei ist es gar nicht mal so schlimm, wenn Leute hier mehr helfen, als man erwarten würde. Vielmehr sind fast alle Begegnungen seltsam, The Kindness of Strangers ist vollgestopft mit teils völlig bizarren Dialogen, bei denen man meint, ein Zufallsgenerator hätte sie entworfen. Sobald der Film jedoch etwas Bestimmtes aussagen will und nicht einfach willkürlich aneinanderreiht, dann wird das oft gleich so überdeutlich, dass man erst recht nicht mehr hinhören will. Das gilt insbesondere für die Kernaussage des Films, die sich bereits im Titel verbirgt und derart vehement ins Kinopublikum eingeprügelt wird, bis es wimmernd vor der Leinwand kauert: Bitte sagen Sie jetzt nichts!

Das ist auch deshalb so traurig, weil der Film so viel mehr hätte sein können. Das Talent vor und hinter der Kamera ist unbestritten. Das Drama hat schöne Bilder, kann mit zahlreichen wichtigen Themen punkten, die es wert sind, dass man über sie spricht. Aber das reicht nicht, um die sonstigen Mängel wieder auszugleichen. The Kindness of Strangers hat etwas von einem Märchen, lässt jedoch den Charme vermissen, den Scherfigs letztes Werk Ihre beste Stunde noch hatte. Immer wieder baut die Filmemacherin Zufälligkeiten ein, die einen verzweifeln lassen, scheut sich aber davor, ihren Anspruch auf ein Sozialdrama aufzugeben. Denn hin und wieder ist es ja durchaus real, was wir hier zu sehen bekommen. Aber es fehlt die Konsequenz, ein klar durchdachtes Konzept. Am Ende bleibt das alles so fremd wie die Stadt, die sich nicht um ihre Menschen kümmert.

Credits

OT: „The Kindness of Strangers“
Land: Dänemark, Kanada
Jahr: 2019
Regie: Lone Scherfig
Drehbuch: Lone Scherfig
Musik: Andrew Lockington
Kamera: Sebastian Blenkov
Besetzung: Zoe Kazan, Andrea Riseborough, Tahar Rahim, Bill Nighy, Caleb Landry Jones, Jay Baruchel, Finlay Wojtak-Hissong, Jack Fulton

Bilder

Trailer

Filmfeste

Berlinale 2019

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The Kindness of Strangers – Kleine Wunder unter Fremden
Fazit
„The Kindness of Strangers – Kleine Wunder unter Fremden“ nimmt uns mit in das winterliche Manhattan, wo eine Frau und ihre zwei Kinder auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Mann sind. Das Drama wechselt dabei zwischen Märchen und Sozialdrama, hat viel über die Welt zu sagen, bleibt dabei aber aufgrund bizarrer Dialoge und Zufälligkeiten so fremd, als hätte man zwei Stunden lang Aliens zugesehen, die sich als Menschen verkleidet haben.
4
von 10