Sie ist gerade erst aus dem Gefängnis entlassen worden. Doch ans Ausruhen verschwendet Rose-Lynn Harlan (Jessie Buckley) keinen Gedanken. Denn noch immer träumt sie davon, als Country-Sängerin groß rauszukommen, vielleicht sogar nach Nashville zu gehen! Da sie ihren Job in der lokalen Bar verloren hat, muss ein Ersatz her. Eigentlich spielt es keine wirkliche Rolle für sie, ist ja ohnehin nur vorrübergehend. Am Ende landet sie bei der wohlhabenden Susannah (Sophie Okonedo) und kümmert sich um deren Haushalt. Gleichzeitig vernachlässigt sie aber ihre beiden eigenen Kinder, weshalb Rose immer wieder Streit mit ihrer Mutter Marion (Julie Walters) bekommt. Ging es nach der, ihre Tochter hätte den Traum sowieso längst an den Nagel gehängt und würde stattdessen mal Verantwortung für ihr Leben übernehmen …
Musikfilme haben in den letzten Jahren die Kinokassen so richtig zum Strahlen gebracht. Vom Musical Greatest Showman über das Biopic Bohemian Rhapsody bis zur Liebeskomödie Yesterday, da waren schon einige Hits dabei. Da liegt dann schon der Verdacht nahe, dass man mit Wild Rose ein bisschen von diesem Schwung mitnehmen möchte. Immer waren wir live dabei, wenn begabte Unterhaltungskünstler endlich den großen Durchbruch schafften. Das bedeutete nicht nur viel Musik, sondern auch richtig viel fürs Herz. Denn wer freut sich nicht, wenn der Underdog den widrigen Umständen trotzt und es am Ende allen anderen zeigt?
Du hast hier nichts verloren
Einen größeren Underdog als Rose wird man auch sobald nicht finden. Wenn sie zu Beginn des Films aus dem Gefängnis stapft, gekleidet wie ein Cowgirl, dann wirkt sie gleich in mehrfacher Hinsicht so, als sei sie irgendwie am falschen Ort gelandet. Und überhaupt: Schottland und US-amerikanisch geprägte Country-Musik, nein, das ist keine besonders naheliegende Kombination. Außerdem ist sie ein Ex-Sträfling, was schon unter normalen Umständen ein ziemliches Hindernis im Lebenslauf ist, ein Drogendelikt hat sie für ein Jahr hinter Gitter gebracht. Welche Perspektive kann ein solcher Mensch schon haben?
Eine ziemlich gut, wenn es allein nach dem Talent ginge. Dass die Protagonistin darüber verfügt, daran besteht kein Zweifel. Immer wieder darf sich das Publikum in Wild Rose davon selbst ein Bild machen, wenn sie voller Leidenschaft und brennend vor Energie die umstehenden Menschen ansteckt. Jessie Buckley – hierzulande am ehesten noch für ihre Rolle in dem Thrillerdrama Beast bekannt – demonstriert mehrfach ihr gesangliches Können, welches die Zuschauer und Zuschauerinnen der BBC Talent Show I’d Do Anything vor zehn Jahren begeisterte. Doch die irische Künstlerin überzeugt auch in den stillen Momenten, wenn sie eben nicht auf der Bühne steht, das Mikro in der Hand.
Zwischen Bühne und Kinderzimmer
Von diesen stillen Momenten gibt es auch eine Menge in Wild Rose. Das Musik-Drama, welches auf dem Toronto International Film Festival 2018 Weltpremiere hatte, ist weniger mit der üblichen Aufstiegsgeschichte eines ambitionierten Künstlers befasst. Stattdessen erzählt der Film von den Schwierigkeiten, das Leben eines solchen Künstlers mit dem einer alleinerziehenden Mutter zu verbinden. So mitreißend die Szenen sind, wenn Rose in ihrem Element ist, so bewegend sind die, wenn die junge Frau versucht, Zugang zu ihren Kindern zu finden, ohne zu wissen wie. Die tragen die Namen großer Country-Vorbilder – Wynonna nach Wynonna Judd, Lyle nach Lyle Lovett –, was noch einmal die Prioritäten von Rose aufzeigt. Wer die Kinder hinter diesen großen Namen sind, das weiß Rose hingegen selbst nicht so genau.
Sonderlich vorbildhaft ist das natürlich nicht. Rose taugt nicht zur Heldin, wie es vermeintlich vergleichbare Filme voraussetzen. Umso größer ist jedoch die Faszination, welche der Wirbelwind im Publikum auslöst: Die Sängerin ist gleichzeitig zu groß für ihr Leben und diesem doch nicht gewachsen. Ein Mensch, dem man ewig zusehen kann, dem man aber vielleicht nicht zu nahe kommen mag, um nicht in diesen destruktiven Strudel hineingezogen zu werden. Das ist als Kontrastprogramm zum üblichen Weihnachtskino interessant, sehens- und hörenswert. Schöne Momente gibt es in Wild Rose durchaus. Sie sind nur nicht so, wie man sich das unbedingt vorgestellt hätte: Regisseur Tom Harper erzählt eine Geschichte, die simpel und irgendwie bekannt ist, dabei aber doch ganz anders.
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